Ein Atelier in einer ehemaligen Autowerkstätte: Im Pariser Außenbezirk Ménilmontant sorgen Künstler längst für Impulse in der Umgebung.

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Ein autonomer Kunstraum in einer ehemaligen Fabrik: Der Ragnarhof im Brunnenviertel in Ottakring bringt seit über 15 Jahren andere Ansichten ins Grätzel.

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Von jeher ist es berüchtigt als verarmtes Arbeiterviertel mit schlechter Bausubstanz und einem hohen Migrantenanteil - das gürtelnahe Brunnenviertel im Wiener Bezirk Ottakring. Innerhalb der vergangenen Jahre ist es jedoch zu einem Paradebeispiel der Revitalisierung geworden: Die verfallenen Gründerzeithäuser werden sukzessive renoviert oder durch Neubauten ersetzt, das Marktgebiet wird schrittweise erneuert, die Infrastruktur verbessert. Und es hat sich eine rege Szene von alternativen Künstlern, Kulturinitiativen und Lokalen angesiedelt, die das Bild des Grätzels verändert haben.

Junge Künstler waren es auch, die bereits in den frühen 1990er-Jahren aufgrund der niedrigen Mieten begannen, in leerstehenden Geschäftlokalen Ateliers aufzusperren - und damit den Stein der Stadtviertelerneuerung ins Rollen brachten.

Diesem Phänomen, nämlich dass Kulturinitiativen als Motoren für die Entwicklung peripherer Stadtteile dienen können, widmet sich ein vom Kulturamt der Stadt Wien gefördertes Forschungsprojekt des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Auf Basis von kulturwissenschaftlichen und soziologischen Ansätzen wie der Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour vergleicht Projektleiter Walter Rohn Kulturinitiativen und deren Auswirkungen sowohl auf Wiener Randbezirke als auch auf das vergleichbare 20. Arrondissement (Ménilmontant) am östlichen Rand von Paris.

Grundlage der Analyse ist eine Untersuchung ausgewählter Kulturinitiativen hinsichtlich Finanzierung, Kunstsparten, Motive für die Standortwahl und Einzugsgebiet des Publikums sowie Interviews mit Experten aus Kultur, Stadtentwicklung und Politik.

"Die Befragten waren sich einig, dass lokale Kulturaktivitäten positive Impulse für Außenbezirke bringen und sowohl lokale als auch überörtliche Funktionen erfüllen", sagt Rohn. Besonders hervorzuheben seien die Demokratisierung von Kultur vor Ort, die städtebauliche Entwicklung, welche die Wohnzufriedenheit erhöhe, eine Stimulierung der lokalen Ökonomie, besonders was die Kreativwirtschaft betrifft, die Integration verschiedener Bevölkerungsschichten und eine Stärkung der Identifikation der Bewohner mit ihrem Stadtviertel.

"Fest steht, dass eine kritische Masse an kleinen Initiativen bzw. einige große Flagship-Projekte vorhanden sein müssen, um etwas auszulösen", erläutert der Stadtforscher. "In Wien ist das erste Beispiel für die Dezentralisierung von großen Kultureinrichtungen die 2003 neu eröffnete Hauptbücherei am Gürtel, die sehr stark von der Bevölkerung aus den Randbezirken genutzt wird. In Paris hingegen hat die Stadtverwaltung seit den späten 1980ern Großprojekte bewusst an den Stadtrand gesetzt."

Die kulturellen Aufwertungsprozesse werden aber nicht nur positiv bewertet: Denn schließlich dienen sie letztendlich Verwertungsinteressen von Bauträgern und Grundeigentümern und führen meist zu einer Gentrifizierung, also einer Aufwertung des Wohnumfelds im Zuge von steigenden Mieten. "Von der Mehrheit der Gesprächspartner wird dieses Problem, was Wien betrifft, allerdings nicht so dramatisch gesehen", sagt Rohn. "Im positiven Sinn kommt es zu einer gewissen Durchmischung der Bevölkerung, da auch Mittelschichten zuziehen." Wohl aber seien Kulturschaffende selbst von der Gentrifizierung betroffen und würden oft verdrängt, nachdem sie als "unbedankte Pioniere" der Stadtentwicklung aufgetreten sind, räumt Rohn ein.

Im Unterschied zu Wien würden am Stadtrand von Paris künstlerische Impulse schneller aufgegriffen, professioneller vermarktet und von der Stadtverwaltung durch ein differenzierteres System gefördert, um eine dauerhafte Etablierung zu ermöglichen. Bis Ende 2009 wird Rohn noch weiter die Strukturen des 20. Arrondissements und der Wiener Außenbezirke untersuchen, um Forschungsnetzwerke zwischen den Städten zu forcieren und der Wiener Stadtverwaltung Empfehlungen für kulturpolitische Strategien vorzulegen.

Potenzial für kulturelle Stadtbelebung gibt es noch viel: Schließlich werden in den kommenden Jahren am Rand von Wien - etwa am Flugfeld Aspern - mehrere neue Stadtviertel entstehen. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2008)