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"Immer mehr führende Unternehmen erkennen, dass der Respekt gegenüber Menschenrechten auf gut für das Geschäft ist", ist Irene Khan, Generalsekretärin von Amnesty International, überzeugt

Foto: APA/ Martial Trezzini

Nicht nur Staaten, sondern auch Unternehmen haben die Verpflichtung, die Menschenrechte einzuhalten, sagt Irene Khan, die Generalsekretärin von Amnesty International, im Interview mit derStandard.at. Einige Konflikte, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo, hätten zum Teil direkt mit der Wirtschaft zu tun. Doch der Respekt gegenüber Menschenrechten kann auch gut für das Geschäft sein, deshalb seien immer mehr Unternehmen bereit zu kooperieren.

Khan berichtet, auf welche Weise die Organisation arbeitet, wie sie Druck auf Staaten und Unternehmen ausüben kann und warum Amnesty gegen die Gefahr ankämpfen muss, "Herz und Seele" zu verlieren.

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derStandard.at: Sie sind seit 2001 Generalsekretärin von Amnesty International - kein einfacher Zeitpunkt um das Amt anzutreten angesichts der Anschläge in New York am elften September. Welche Probleme haben nach Meinung von Amnesty International 60 Jahre nach Festsetzung der Menschrechte Vorrang?

Irene Khan: In den vergangenen Jahren konnten wir einige positive Veränderungen registrieren: Viele Länder haben Menschenrechte eingeführt und die Todesstrafe abgeschafft. Am wichtigsten ist meiner Meinung nach das Wachstum der Zivilgesellschaft und der Menschenrechtsorganisationen in vielen Teilen der Welt.

Auf der anderen Seite gab es nach den Anschlägen des elften Septembers und dem darauf folgenden "war on terror" Rückschläge im Bereich der Menschenrechte. Außerdem sind Ungleichheit und Armut im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise gestiegen und werden weiter ansteigen.

derStandard.at: Welches Thema hat auf dem Programm von Amnesty International im Moment Vorrang?

Khan: Ich denke, das hat auf jeden Fall mit den wirtschaftlichen und sozialen Rechten zu tun. Angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten weltweit fürchten wir, dass sich unsere Arbeit schwieriger gestalten wird. Immer mehr Menschen werden in die Armut gedrängt und immer weniger Länder werden Geld dafür haben, um in soziale Entwicklungsprogramme zu investieren. Deshalb werden wir uns in Zukunft noch verstärkt für die Rechte von Armen einsetzen.

Ein zweites Thema sind die ungelösten Konflikte. Wir kennen die Zustände in der demokratischen Republik Kongo, im Sudan, im Nahen Osten, aber auch in Somalia und Sri Lanka.

Und drittens gilt es, gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Was in Mumbai passiert ist, zeigt nur noch deutlicher, dass dieses Thema nicht verschwindet, sondern nur komplizierter wird. Leider sehen es in diesem Zusammenhang viele Staaten als bequeme Lösung an, den Terror durch Aushöhlung der Menschenrechte zu bekämpfen.

derStandard.at: Um zum ersten Punkt zurück zu kommen: Wie denken Sie, muss man mit der weltweiten Wirtschaftskrise umgehen?

Khan: Die ärmsten Menschen sollten nicht für die Habgier der Reichen bezahlen müssen. Die Auswirkungen in den ärmeren Ländern werden zu anderen Nachwirkungen führen: Diskriminierung, Spannungen, Gewalt. Wir wissen aus der Geschichte, dass dadurch Unsicherheit erzeugt wird. Und daher muss der Investition in wirtschaftliche und soziale Rechte Vorrang eingeräumt werden.

Amnesty International fordert auch von Unternehmen, den Menschenrechten mehr Aufmerksamkeit zu widmen, denn ihre Arbeit hat weit reichende Auswirkungen. Wir untersuchen zum Beispiel, auf welche Weise manche Unternehmen mit den Kämpfen im Kongo zu tun haben. Es gibt einige Konflikte, die durch die Wirtschaft erzeugt werden.

derStandard.at: Hören große Unternehmen überhaupt auf Amnesty International? Was ist deren Motivation, um zu kooperieren?

Khan: Ich glaube, dass immer mehr führende Unternehmen erkennen, dass der Respekt gegenüber Menschenrechten gut für das Geschäft ist. Ansonsten riskieren sie ihren guten Ruf und ihre Sicherheit. Das ist zum Beispiel Unternehmen passiert, denen Kinderarbeit nachgewiesen werden konnte.

derStandard.at: In den vergangenen Jahren wurde Amnesty International wegen seines Standpunkts zur Abtreibung wiederholt kritisiert. Das widerspreche dem Recht auf Leben, für das sich die Organisation einsetzt. Wie sehen Sie die Diskussion?

derStandard.at: Wir behandeln alle Rechte der Frauen in Bezug auf Fortpflanzung. Ein wichtiger Aspekt ist Information. Frauen - wie auch Männer - sollte freien Zugang zu Informationen über Sexualgesundheit und Verhütung haben. Sie sollten die Möglichkeit haben, selbst zu regulieren. Das wird leider viel zu oft nicht respektiert. Es gibt Länder, in denen Frauen keine medizinische Auskunft ohne Einwilligung ihres Ehemanns bekommen können. Amnesty vertritt die Meinung, dass das falsch ist und die Frauen ein Recht auf ein selbst bestimmtes Leben hat.

Außerdem gibt es Situation, in denen Frauen ungewollt und durch Gewalt schwanger werden. Das ist momentan leider oft in den Krisengebieten von Darfur oder im Kongo der Fall, wo Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt wird. In diesen Fällen sollte den Frauen der Zugang zu legaler Abtreibung erleichtert werden. Außerdem denke ich, dass es falsch ist, Abtreibung zu kriminalisieren. Es gibt Länder, ein Beispiel wäre Nigeria, wo Frauen, die verdächtigt werden abgetrieben zu haben, in der Todeszelle sitzen. Andere Frauen verbluten nach mißglückten illegalen Abtreibungen, da sie das Krankenhaus nicht behandeln darf.

Aber um das noch einmal hervor zuheben: Am wichtigsten ist es, dass Frauen überhaupt nicht in die Situation kommen, dass sie eine Abtreibung brauchen.

derStandard.at: Sie haben auch für das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) gearbeitet. Wie beurteilen Sie die EU-Abschieberichtlinie?

Khan: Amnesty International ist davon sehr enttäuscht. Es werden weder die Rechte, noch die Sicherheit oder die Würde der MigrantInnen respektiert. Die Direktive erlaubt einen langen Zeitraum des Arrests, bis zu 18 Monate, bevor die Menschen deportiert werden. Normalerweise würde man für ein ernsthaftes Verbrechen so lange ins Gefängnis kommen, aber wir sprechen ja von Menschen, die keine Kriminellen sind. Der Text enthält auch eine Bestimmung über das Verbot einer neuerlichen Einreise. Das geht uns zu weit.

Wir denken, dass das einen negativen Einfluss auf die Menschenrechte haben wird - das setzt die Standards hinunter. Denn jeder, auch die Länder, die nicht so taffe Richtlinien haben, sind nun gezwungen, dem zu folgen.

Amnesty International hat bereits 2,2 Millionen Mitglieder in 100 Ländern. Jährlich werden Spendengelder in der Höhe von 200 Millionen Euro verwaltet. Irene Khan schildert, warum sich dadurch die Struktur der Menschenrechtsorganisation verändern musste. Die grundlegenden Informationen für die Arbeit von Amnesty werden über unterschiedliche Wege gewonnen, um Beeinflussung zu vermeiden. "Wir sind kein Sprachrohr, das manipuliert werden kann", erklärt Khan.

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derStandard.at: Sie sind die erste Asiatin und Muslimin, die an der Spitze von Amnesty International steht. Inwieweit beeinflussen ihre Wurzeln die Themen, für die Sie sich einsetzen?

Khan: Ja, es stimmt, ich bin Asiatin und Muslimin. Aber ich sehe mich vor allem als Weltbürgerin. Ich habe in den USA und Großbritannien studiert und in vielen Teilen der Welt gearbeitet. Daher habe ich weltumfassende Werte kennen gelernt, die uns alle miteinander verbinden.

Für arme Menschen geht es nicht nur um Geld, sondern auch um den Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge und darum, dass sie sich in der Lage befinden, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Wenn man nicht lesen kann, ist es auch nicht möglich vom Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen.

derStandard.at: Wie arbeitet amnesty international und wie werden Entscheidungen getroffen?

Khan: Unsere Mitglieder spenden nicht nur Geld, sondern investieren auch Zeit und persönlichen Einsatz. Viele AktivistInnen leisten freiwillige Arbeit.

Unsere Entscheidungen treffen wir in demokratischen Prozessen, dadurch wird die Ausrichtung der Organisation festgelegt. Alle zwei Jahre treffen sich 500 Delegierte aus der ganzen Welt, die die großen offenen Fragen der Menschenrechte diskutieren. Wir müssen herausfinden, was weltweit dringliche Angelegenheiten sind. Wir haben zum Beispiel bemerkt, dass dem Thema Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird, darum haben wir es auf unser Programm gesetzt. In Europa versuchen wir zum Beispiel gerade, einen Fokus auf die Rechte von Roma zu legen. Wir finden, dass dieses Thema vernachlässigt wird.

derStandard.at: Woher bekommt die Organisation ihre Informationen und besteht nicht die Gefahr, manipuliert zu werden?

Khan: Wir bekommen unsere Informationen durch eine sehr ausgeklügelte Maschinerie, für uns sind viele gute ForscherInnen tätig. Außerdem verfügen wir über ein großes Netzwerk. Weiters bekommen wir viele Informationen direkt von den Menschen. Es ist uns wichtig, unsere Quellen immer gegenzuchecken und wir versichern uns, dass unsere Informationsquellen verlässlich sind.

derStandard.at: Aber wie die gewonnen Informationen in der Arbeit berücksichtigt werden, entscheidet doch die Organisation?

Kahn: Natürlich, die Bewertung dieser Informationen obliegt uns. Wir haben die Rolle eines Anwalts inne und sprechen mit und für die Menschen, deren Rechte gefährdet sind. Aber wir sind kein Sprachrohr, das von anderen manipuliert werden kann.

derStandard.at: Auf welche Weise versucht Amnesty International die getroffenen Entscheidungen und Ziele durchzusetzen?

Khan: Unsere Stärke ist, dass wir von innen und von außen Einfluss ausüben können. Wir versuchen international öffentlichen Druck auszuüben.

derStandard.at: Können Sie ein Beispiel einer Kampagne nennen?

Khan: Wir haben versucht, ein Abkommen zur Kontrolle von Handfeuerwaffen durchzusetzen, durch die jährlich 350.000 Menschen getötet werden. Unsere Partner konnten in vielen Ländern der Welt eine Million Menschen mobilisieren, die uns ihr Foto geschickt haben. Mit diesen Fotos sind wir zu den United Nations (UN) gegangen und haben sie Generalsekretär Kofi Annan präsentiert. Im Dezember 2007 haben die UN eine Resolution erlassen, in der sich die Vertreter darauf einigten, ein Abkommen zu erlassen.

derStandard: Amnesty hat sich in den vergangenen Jahren verändert und wird eigentlich wie ein Wirtschaftsunternehmen geleitet. Welche Vor- und Nachteile entstehen dadurch?

Khan: Amnesty ist zur größten Menschenrechtsorganisation herangewachsen. Wir haben 2,2 Millionen Mitglieder in mehr als 100 Ländern. Jedes Jahr nehmen wir ungefähr 200 Millionen Euro an Spenden ein, die Summe bekommen wir hauptsächlich durch kleine Spenden von den BürgerInnen zusammen. Daher sind wir auch verpflichtet, das Geld der Menschen ordentlich zu verwalten. Wir haben eine Rechenschaftspflicht und müssen in der Lage sein, Angaben zu machen, wofür wir das Geld ausgeben und was wir damit erreichen wollen. Außerdem wollen wir diese Information auch angemessen präsentieren. Der Vorteil ist, dass wir schnell arbeiten, unsere Erfahrungen teilen können und Druck ausüben können.

Ein Nachteil ist natürlich, dass wir Gefahr laufen unsere Seele und unser Herz zu verlieren. Amnesty war und ist eine Organisation von und für Menschen. Ich denke der Trick ist, die persönliche Verbindung zwischen den Menschen aufrecht zu erhalten. Je größer die Organisation wird, umso mehr Menschen bringen sich auch ein. Wir arbeiten zum Beispiel mit Organisationen in Botswana zusammen, die die Todesstrafe abschaffen wollen oder in Südafrika mit Menschen, die Betroffenen von HIV/AIDS helfen. Ich denke, wir bewältigen das ganz gut. (Julia Schilly, derStandard.at, 10. Dezember 2008)