Bild nicht mehr verfügbar.

Morbus Menière Krank fühlen sich wie im Karussell: Die Welt dreht sich ununterbrochen - der Zustand ist nicht lebensgefährlich, aber bedrohlich

APA

Drei Symptome die nur gemeinsam das Bild der Menièreschen Krankheit ergeben: Drehschwindel, Tinnitus und eine Hörminderung. Schuld an der klassischen Trias ist eine verminderte Leistung des Saccus endolymphaticus. Ein Sack, der im gesunden Innenohr die Endolymphe abtransportiert. Beim Morbus Meniere wird von der lymphähnlichen Flüssigkeit entweder zu viel produziert oder aber zuwenig resorbiert. Die Verteilung der Natrium und Kaliumionen darin ist ebenfalls ein heilloses Durcheinander. Eine Störung mit gravierenden Folgen für das menschliche Hör- und Gleichgewichtsorgan. Sinnes- und Nervenzellen melden irreale, bedrohliche Informationen, wie den kreisenden Schwindel.

Die Pathophysiologie dieser Erkrankung ist komplex, aber eigentlich sehr gut erforscht. Das Problem ist eher ein therapeutisches: "Das Innenohr mit Hörschnecke und Gleichgewichtsorgan ist insgesamt nicht größer wie eine Fingerkuppe. Die operative Freilegung des endolymphatischen Sacks ist zwar nicht schwierig, aber ohne gesicherten Effekt und wird weltweit daher kontrovers diskutiert", weiß Helmut Schaaf, Leitender Oberarzt an der deutschen Tinnitus-Klinik Dr. Hesse in Bad Arolsen. Der ehemalige Anästhesist gehört selbst zu den 0,1 Promille Menschen, die an dieser Erkrankung des Innenohrs leiden. Da Heilung derzeit noch nicht möglich ist, lautete seine Lösung vor einigen Jahren: Gentamycin. Das Antibiotikum zerstört das Innenohr irreversibel. Die Konsequenz auf einem Ohr für immer gehörlos zu sein, hat Schaaf einem Leben mit Morbus Meniere den Vorzug gegeben.

Hilflos dem Drehschwindel ausgesetzt

"Stellen Sie sich vor, sechs Stunden lang dreht sich die Welt ununterbrochen um sie", ist Schaaf darum bemüht ein Eindruck davon zu vermitteln, wie man sich während eine Meniere-Attacke fühlt. Lebensgefährlich ist dieser Zustand nicht, trotzdem wird er als bedrohlich empfunden. Hilflos sind die Patienten dem starken Drehschwindel ausgesetzt, der häufig auch eine schwere Übelkeit oder Erbrechen verursacht. Gleichzeitig hören die Patienten umgebende Stimmen oder Geräusche zwar schlecht, nehmen aber dafür subjektiv ein tief brummendes Ohrgeräusch wahr. Stunden später klingen die akuten Beschwerden ab. Das Hörvermögen normalisiert sich, allerdings nur im Anfangsstadium der Erkrankung. Irgendwann hinterlässt jeder weitere Anfall im Innenohr seine Spuren. Ein fortschreitender Hörverlust bis hin zur völligen Ertaubung ist möglich. Häufigkeit und Intensität weiterer Attacken sind im Vorfeld nicht prognostizierbar.

Schaaf ist nicht der einzige der sich für die medikamentöse Zerstörung des Innenohres entschieden hat. Viele Betroffene ziehen den endgültigen Hörverlust dem ständigen Bangen vor der nächsten Attacke vor. Diese Angst verselbständigt sich nämlich auf sehr unangenehme Weise. Sie erzeugt einen psychogenen Schwindel, auch Seelenschwindel genannt. „Es gibt 386 konkrete Gründe dafür schwindlig zu werden", erklärt Schaaf und erinnert an das bekannte Schwindelgefühl, das viele Menschen beim plötzlichen Aufstehen verspüren. Die richtige Interpretation des Schwindels fällt Morbus Meniere Kranken verständlicherweise schwer. Sie simulieren nicht, sie erleben jede Form eines Schwindels als Symptom ihrer Krankheit.

Psychosomatische Komponenten

Stellt sich die Frage: Wie erkennt der Patient selbst, ob seine Seele ihm etwas vorschwindelt? Schaaf, der sich seit 14 Jahren mit den psychosomatischen Komponenten der Erkrankung beschäftigt, hat ein paar einfache Strategien auf Lager, um organischen von psychogenem Schwindel zu unterscheiden. „Wer einen Gegenstand problemlos fixiert, aufstehen und mit beiden Füssen abwechselnd fest auf den Boden stampfen kann, hat den besten Beweis. Während einer Menière-Attacke ist all das nicht möglich", erklärt er.

Für den Fall, die Attacke ist tatsächlich organisch bedingt, rät er seinen Patienten ein schwindelreduzierendes Medikament immer bei sich zu tragen. Hilfekärtchen, auf denen zu lesen ist, dass der Betroffene nicht betrunken ist, sondern unter dem Morbus Meniere leidet, bietet die deutsche Menière-Liga an. Patienten werden auf diese Weise vor überflüssigen Spitalsaufnahmen verschont.

Ob es reicht zu wissen was los ist, hängt schlussendlich aber von zwei Dingen ab: Seltene Drehschwindelattacken und ein mehr oder weniger intaktes Gehör. Wer die nächste Stufe, schlechtes Gehör bei nachlassendem Drehschwindel, nach üblicherweise sieben Jahren erreicht, der kann sich immer noch unterstützend mit einem Hörgerät behelfen. Schaaf blieb dieser gutartige Verlauf leider vorenthalten. Nach nur 5 Jahren hat ihn im Alter von 35 Jahren zweimal wöchentlich eine Attacke heimgesucht. Arbeitsunfähig und depressiv hat er sich damals für die lebensrettende Gentamycintherapie entschieden. Seit über 14 Jahren arbeitet er nun schon weitgehend beschwerdefrei. (Regina Philipp, derStandard.at, 10. Dezember 2008)