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Ach, Angela! Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy sind einander nicht grün. Vor zwei Wochen standen sie in einer hohlen Gasse in Paris beieinander.

Foto: AP Photo/Charles Platiau, pool

Seit Nicolas Sarkozys Amtsantritt lebt sich das europäische Kernpaar auseinander.

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„Du glaubst ja wohl nicht, dass ich Angela dir vorziehen würde!" Dieser böse Satz über die deutsche Kanzlerin Merkel wird Nicolas Sarkozy in den Mund gelegt. Der französische Präsident soll ihn Ende Oktober im Elysée gegenüber dem tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek geäußert haben, wie die Prager Zeitschrift Reflex aus einem vertraulichen Gesprächsprotokoll zitierte.
Für „Nicolas" kommt „Angela" also nicht mehr an erster Stelle. Ein banal klingender, aber historisch ziemlich spektakulärer Befund: Seit 1945 hatten sich die Politikerpaare DeGaulle-Adenauer, Schmidt-Giscard d'Estaing, Mitterrand-Kohl und zuletzt Chirac-Schröder gegenseitig demonstrativ die Präferenz eingeräumt. Sarkozy und Merkel können nicht miteinander. Am Montag organisierte der französische EU-Ratsvorsitzende einen Vorbereitungsgipfel erstmals ohne die Kanzlerin, als er in London den britischen Premier Gordon Brown und den EU-Kommissionschef José Manuel Barroso traf.
Auch die bilateralen Treffen zwischen Berlin und Paris entbehren der früheren Herzlichkeit, ja des Vertrauens, seitdem Sarkozy im März eines dieser Rituale kurzerhand absagte. „Im Elysée kennt heute kein einziger Berater Deutschland wirklich", erklärt dies Sylvie Goulard vom Mouvement Européen France.

Das Lächeln vergangen

Beim jüngsten Zweiertreffen im November kritisierte Sarkozy unumwunden die deutsche Passivität in Sachen Konjunkturbelebung: „Frankreich handelt, Deutschland denkt nach." Da verging sogar der Kanzlerin das Lächeln. Sie hat bereits 32 Mrd. Euro in die deutsche Wirtschaft gesteckt, Sarkozy kratzte nur 26 Mrd. zusammen. Trotzdem verlangt er, dass Berlin sein Portemonnaie für die ganze EU öffne. Aus CSU-Kreisen tönt es zurück: „Wir sind nicht mehr die Zahlmeister Europas." Berlin blockt auch gegen das französische Ansinnen, eine Art Wirtschaftsregierung in der EU oder zumindest dem Euroraum zu bilden - natürlich mit Sarkozy an der Spitze.

Was „Angela" aber zuallererst ärgert, ist „Nicolas'" bonapartistischer Husarenstil. „Er kommt täglich mit neuen Vorschlägen, ohne vorher mit seine Partnern, namentlich den Deutschen, gesprochen zu haben", meint Katynka Barysch vom Centre for European Reform, einem Londoner Thinktank. Merkel schüttelt nur den Kopf, wenn Sarkozy geradezu frenetisch Krisengipfel und Schlachtpläne ventiliert - um sie eine Woche später bereits wieder zu vergessen. Umgekehrt werfen die Elysée-Berater den Deutschen vor, sie seien nicht genug „krisenreaktiv" und bremsten den Elan des EU-Ratsvorsitzes.
Der „kleine Napoleon" im Elysée, wie die Pariser Presse Sarkozy bisweilen nennt, setzte sich während seines EU-Vorsitzes über viele europäischen Instanzen und Institutionen hinweg. Das nimmt ihm Berlin übel. Denn wie der regierungsnahe Figaro schreibt: „Der deutsch-französische Motor in der EU hat ausgedient, Sarkozy zieht Allianzen je nach den Umständen vor." So wie er in der Konjunkturpolitik gerade mit London gemeinsame Sache macht, versuchte der EU-Ratsvorsitzende schon, die Süd- oder die Osteuropäer auf seine Seite zu ziehen. Und jedes Mal entstand der Eindruck, dass er dabei „Berlin in die Zange nehmen" möchte, wie sich Le Monde ausdrückt. Die Bildung der Mittelmeerunion im Sommer entsprang nicht zuletzt dem Wunsch, ein französisches Gegengewicht zur deutschen „Ostpolitik" zu bilden.
Einzelne EU-Partner sind nicht unfroh darüber, dass Paris und Berlin nicht mehr vereint den Brüsseler Kurs vorgeben. Andere warnen hinter vorgehaltener Hand, dass Sarkozys grandiose Solotouren die 50-jährige Partnerschaft über den Rhein hinweg aufs Spiel setzen. Gewarnt wird auch vor einer neuen Rivalität zwischen zwei historischen Erzfeinden, deren Annäherung nach dem Krieg die Grundlage für die EU bildete. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe,  11.12.2008)