Wenn  sinistre Schurken aus Büchern plötzlich ins reale Leben wechseln: Buchbinder Mo (Brendan Fraser) wird in "Tintenherz" zum Opfer einer Gabe.

Foto: Warner

Ein Gespräch über Autorensorgen und Lesevergnügen.

Wien - Es ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der sich auf den Weg Richtung Süden macht: ein gewissenhafter Vater, seine aufgeweckte zwölfjährige Tochter, eine schrullige Tante und nicht zuletzt ein geheimnisvoller Fremder im langen Staubmantel. Alle verfolgen sie ihre eigenen Interessen, und doch gibt es ein gemeinsames Ziel dieser Patchwork-Familie: ein gefährliches Geheimnis und die Suche nach einem Schatz - einem Buch namens Tintenherz.

In Cornelias Funkes gleichnamigem Bestsellerroman, der nun verfilmt wurde, dreht sich alles um Bücher: Der Vater Mo (Brendan Fraser) ist ein von seiner Arbeit besessener Buchbinder, die Tochter Meggie (Eliza Hope Bennett) eine unbeirrbare Leseratte, die alte Tante Elinor (Helen Mirren) eine verrückte Büchersammlerin, und der Sonderling Staubfinger (Paul Bettany) stammt überhaupt ganz und gar aus einem Roman.

Mo hat eine besondere Gabe: Er kann Figuren aus Büchern herauslesen. Doch diese Kunst hat ihren Preis, und jedes Mal, wenn jemand der Bücherwelt entsteigt, muss ein echter Mensch dafür in ihr verschwinden. Auf diese Weise hat sich eine Handvoll Bösewichte in einem italienischen Bergdorf eingenistet und verbreitet seither Angst und Schrecken, und ebenso lang ist Meggies Mutter buchstäblich vom Erdboden verschluckt.

Der Bibliophilie ihrer Figuren zum Trotz war es nur eine Frage der Zeit - und des Erfolgs von Fantasy-Blockbustern wie Harry Potter -, bis auch Funkes erster Band der mittlerweile beendeten Trilogie (Tintenblut, Tintentod) von Hollywood adaptiert werden würde. Dass Regisseur Iain Softley die zahlreichen literarischen Referenzen durch filmhistorische ersetzt hat, verwundert nicht: Der aus dem Zauberer von Oz herbeigelesene Wirbelwind fegt über Ligurien, und der kleine Hund von Judy Garland versteckt sich unterm Bett.

Gelassene Autorin

Funke selbst nimmt als Koproduzentin des Films solche Änderungen gelassen hin, wie sie im Gespräch mit dem Standard verrät: "Ich hoffe, das Buch ist vielschichtiger. Der Film macht manche Bilder noch deutlicher. Vielleicht eine Mentalität von Kinderbuchautoren: Philip Pullman hatte auch kein Problem damit, dass Der Goldene Kompass anders verfilmt wurde, als er ihn sich vorstellte. Er hat einmal zu mir gesagt: 'Ist der Film gut, freust du dich, ist der Film schlecht, sagen alle, dein Buch war besser.' Wir Autoren können also eigentlich immer nur gewinnen."

Eine derart pragmatische Einstellung ist angesichts der Kinoadaption von Tintenherz inklusive eines auf Wunsch des Testpublikums geänderten Finales sicherlich von Vorteil: "Es gibt diese verständliche Angst von Schriftstellern, dass der Film als das dominantere Medium das Buch löscht. Aber kein leidenschaftlicher Leser lässt sich sein Buch auslöschen."

Die Qualität Funkes, mit Arbeiten wie Herr der Diebe, Die wilden Hühner oder Drachenreiter erfolgreichste deutsche Kinderbuchautorin dieser Tage, liegt ohne Zweifel in der Modernität von Charakteren und Szenerie: Obwohl in der fantastischen Tradition von C. S. Lewis oder Lewis Carroll stehend, ist die Parallelwelt von Tintenherz keineswegs eine geschlossen künstliche, sondern sie kennzeichnet Durchlässigkeit. Die Bedrohung richtet sich somit auch auf die Zuhausegebliebenen.

Computergenerierte Fabelwelt

Das im Roman wiederkehrende Motiv der Angst nützt die Verfilmung mehr oder weniger simpel, indem es unmittelbar an Personen und Orten festgemacht wird: Während sich die in einem alten Turm sesshaft gewordenen Schurken ein furchteinflößendes Inventar an computergenerierten Fabelwesen halten, trägt die Inszenierung zunehmend mit satten Farben und Spezialeffekten auf.

Für Funke einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Roman und Film: "Beim Schreiben muss man bei der Zeichnung von Angst kaum Kompromisse eingehen, denn beim Lesen kann man vieles aushalten. Bei der Verfilmung hingegen sind viele düstere Szenen auf Wunsch des Studios wieder entfernt worden. Es ist schwierig, auf der Leinwand den Schrecken für Kinder so darzustellen, dass ihn auch Erwachsene ernst nehmen können."

Durch die Lektüre des letzten verbliebenen Exemplars von Tintenherz, dessen Autor noch zur Gruppe hinzustößt, soll am Ende nicht nur Vergangenes wieder rückgängig gemacht, sondern auch die Frage geklärt werden, wer die Macht über den Ausgang der Geschichte behält. Ist es der Autor, der Leser, oder sind es gar die Figuren selbst? Dass es nun das Kinopublikum ist, das sich im Fall von Tintenherz einen eigenen, anderen Schluss herbeigewünscht hat, passt zu dieser Überlegung fast zu gut. (Michael Pekler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.12.2008)