Quereinsteigerin Isabella Leeb: "Dass ein Wiener Hauptschulabsolvent nicht sinnerfassend lesen kann, ist grauslich. Das dürfen wir nicht zulassen."

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STANDARD: Sie sind seit zwei Wochen nichtamtsführende Stadträtin, gab's schon Momente, in denen Sie Ihren Wechsel in die Politik bereut haben?

Leeb: Nicht einen einzigen. Es ist alles so, wie ich's erwartet habe, sehr, sehr spannend.

STANDARD: Wie spontan war Ihre Entscheidung, in die Politik zu gehen?

Leeb:  Spontan war sie insofern nicht, da ich keine Initiativbewerbung bei der ÖVP abgegeben habe. Aber ich bin im Rahmen meiner Wirtschaftskammerfunktionen auf den Geschmack gekommen. Für mich ist mit diesem Job ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen - mit dem ich nicht wirklich gerechnet habe.

STANDARD: Was sind aus Ihrer Sicht die brennendsten Probleme, die in Wien gelöst gehören?

Leeb: Im Standard-Interview, das der Herr Bürgermeister vor kurzem gegeben hat, hat er einen Satz gesagt, der sehr symptomatisch für die Stimmung in Wien ist: "Verglichen mit den Problemen, die andere Städte haben, etwa den Slums in Lissabon, ist der Prater kein weltbewegendes Thema." Wir kennen den Bürgermeister, er erteilt auch der Bundesregierung gern Ratschläge, aber dass er seinen Einflussbereich mittlerweile bis nach Portugal ausgeweitet hat, fand ich dann doch überraschend. Mit den die 60 Millionen Euro, die im Prater versenkt wurden, könnte man für 300.000 Personen Heizkostenzuschüsse finanzieren. Oder 12.000 Kindergartenplätze. Wenn das nicht wienbewegend ist, dann weiß ich nicht.

STANDARD: Die Wiener ÖVP besteht aus einem liberal-urbanen und einem konservativen Flügel. Zu welchem zählen Sie sich?

Leeb:  Ich sehe mich sehr liberal-urban.

STANDARD: Neben Wirtschaftsthemen werden Sie sich auch Integrationsfragen widmen. Was würde die ÖVP in diesem Bereich anders machen, wenn sie an der Macht wäre?

Leeb:  Einiges. Die ÖVP Wien würde das Thema Integration nicht auf die Menschen beschränken, die jetzt gerade zugezogen sind. Integration ist ein Thema, das auch jene betrifft, die schon in zweiter, dritter Generation hier sind, aber vielleicht noch nicht ganz integriert sind. Und vor allem ist es ein Thema für die in Wien lebenden Wienerinnen und Wiener.

STANDARD: Welche Verbesserungen schweben Ihnen da vor?

Leeb:  Also wenn Sie von mir jetzt konkrete Lösungsansätze verlangen, ist das, glaube ich, ein bisschen zu früh. Aber Tatsache ist, dass ich auch aufgrund persönlicher Erfahrungen so schnell Ja gesagt habe, als man mich gefragt hat, ob ich diesen Job machen will. Ich hatte zum Beispiel vor zwei Jahren einen jungen Mann mit Hauptschulabschluss bei mir im Betrieb, der eine Lehrstelle suchte. Beim kurzen schriftlichen Einstiegstest, der sich am Leistungsniveau der vierten Klasse Volksschule orientiert, stellte sich heraus, dass er nicht sinnerfassend lesen konnte. Obwohl er in Wien aufgewachsen ist und keinen Migrationshintergrund hatte. Das ist grauslich. Das dürfen wir nicht zulassen.

STANDARD: Wie kann man da gegensteuern?

Leeb: Es ist leider so in Wien, dass man die Hauptschulen völlig hat absandeln lassen. Was jetzt wirklich notwendig ist, ist eine Qualitätssicherung. Es ist vollkommen wurscht, wie eine Schule heißt, es muss Qualitätsstandards geben.

STANDARD: Zu diesem Zweck werden an sich Zeugnisse ausgestellt.

Leeb: Die sind nur leider oft das Papier nicht wert, auf dem sie ausgestellt wurden. Ich will da auch keinem Lehrer die Schuld geben. Die haben Klassen, in denen zu 80 Prozent Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache sitzen.

STANDARD: Sie plädieren also für mehr Durchmischung in den Pflichtschulen?

Leeb: Mischung ist prinzipiell nichts Schlechtes, das habe ich bei meinem Sohn selbst erlebt. Im vierten Bezirk ist der Migrationsanteil zwar nicht allzu hoch, es hat ihm aber durchaus gutgetan, mit Migrantenkindern aufzuwachsen. Die Welt ist so. Wir leben in einem Einwanderungsland. Migration hat nicht nur Schattenseiten, wir können auch sehr viel von den neuen Mitbürgern lernen. Aber das Verhältnis darf nicht kippen. So wie es in vielen Wiener Bezirken ist.

STANDARD: Um das zu ändern, müssten einige Kinder längere Schulwege auf sich nehmen.

Leeb: Ich glaube schon, dass man Kindern längere Schulwege zumuten kann. Ich hatte auch einen langen Schulweg und hab's überlebt.

STANDARD: Ist für Sie eine Koalition mit der FPÖ in Wien vorstellbar?

Leeb: Ich kann dazu nur eine persönliche Meinung abgeben: Für mich ist das unvorstellbar.

STANDARD: Was gibt es im wirtschaftspolitischen Bereich für Sie zu tun?

Leeb: Man darf Bürger und Wirtschaft nicht auseinanderdividieren. Ich sehe mich da als Vermittlerin.

STANDARD: Was werden Sie anders machen als Ihre Vorgängerin Katharina Cortolezis-Schlager?

Leeb: Jeder hat seine Persönlichkeit, und das ist gut so. Ich werde mich nicht verstellen. (Martina Stemmer/DER STANDARD-Printausgabe, 11. Dezember 2008)