Wien - In Wirklichkeit ist es heute so wie früher. Nur lächerlicher. Schließlich sind wir keine 15-jährigen Puberteln mehr.
Denn damals, als man sich in der Schulpause für eine Zigarettenlänge lang auf dem Klo versteckte, konnte man sich einreden, irgendwem - Lehrern? Eltern? - eins auszuwischen: Man tat Verbotenes. Und konnte sich zwischen Pissoir und Klobesen revolutionär fühlen. Denn dass es Gangaufsicht und Lehrern schlicht zu blöd war, das unüberseh- (die ganze Klasse am Klo?) und unüberriechbare (die ganze Klasse stinkt) anzusprechen, wollte keiner wahrhaben.
Man tut so, als würde kontrolliert
Der Effekt war ein (ungewolltes) Lehrstück im angewandten Österreichersein: Es gibt Regeln. Man tut so, als würde kontrolliert. Das ist aber vorgetäuscht. Weil es keine realistischen Sanktionen (Rauswurf des Klassenprimus wegen einer Tschick?) gibt. Da das jeder weiß, ignoriert jeder die Regeln. Fazit: Offiziell ist alles super.
Und wer sich doch über Gestank, dauerbesetzte Klos oder Brandflecken beschwerte, war ein Querulant. Ein Streber. Ein Kameradenschwein. Das will keiner sein. In keinem Alter.
Weil es aber ihre Pflicht war, warnten die Lehrer vor den Gefahren des Rauchens. Auf dem Weg ins Lehrerzimmer heizten sie sich dann eine an. Heute ist das nicht anders: Dass Toni Polster raucht, weiß, wer Polster auf Events sieht. Doch vor dem Hi Society-Interview wird der Aschenbecher weggeräumt: Wegen der Vorbildfunktion
Zugegeben, konsequente Scheinheiligkeit gibt es auch anderswo: Fußgängervorrang auf dem Zebrastreifen? Hundekacke wegräumen? Punschseliges Autofahren? Das ist eben Österreich: Man hat Regeln - aber die jucken keinen.
Petzen
Denn: Soll man sich wirklich mit in der U-Bahn-Station paffendem Jungvolk anlegen? Soll man im Zug ("Ich steh eh am Gang - was haben Sie denn?") beim Schaffner petzen - um ein freundliches Schulterzucken zu bekommen: "Dann rauchen die Leute halt am Klo. Soll ich da auch kontrollieren?"
Lob
Raucher sind ja ohnehin brav: Nach der Tschick im Rauchkobel kommen sie stolz in die Zivilisation zurück - und wollen Lob für das Selbstverständliche. Rücksichtnahme nämlich. Das Odeur, das sie in der Kleidung aus dem Kobel in Kino, Theater oder Wohnung schleppen, bemerken sie nicht.
Nichtraucher sagen dazu nichts. Sie sind schon dankbar, wenn sie sich nicht ständig Spaßbremsen, Langweiler und Askesedogmatiker nennen lassen müssen. Darum sagen sie ihrem Wirt, der meint, dass bei ihm der Nichtraucheranteil marginal sei, auch nicht, dass sie gerne öfter ausgingen. Aber das leider nur mehr im Ausland tun. Weil es dort möglich ist, in Clubs, Bars und Diskotheken nicht geselcht zu werden - und dennoch Spaß zu haben. Aber um des lieben Frieden Willens schweigt man. So wie schon die Gangaufsicht. Früher, in der Schule.
Wobei dieses Bild nicht ganz stimmt: Es gab da einen "Prof", der auch Klos kontrollierte. Er war Religionslehrer und so nikotinsüchtig, dass er sogar als Gangaufsicht rauchte. Buben erwischte er nie. Mädchen schon. Irgendwann dürfte das aufgefallen sein - ab da waren auch die Mädchenklos wieder ungestörte Raucherzonen. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD Printausgabe 11.12.2008)