Foto: Trost

Was wäre der Rock 'n' Roll, dieser Daseinsentwurf der fürs bürgerliche Leben Untauglichen, ohne seine Verrückten? Nicht viel mehr als Spießertum mit Stromgitarre. Zum Glück gibt es aber Durchgeknallte zuhauf. Und: In der Ehrengalerie der schrägen Vögel steht ab sofort ein weiterer Sessel. Reserviert ist dieser für David "Moose" Adamson, der eben das Album Ropechain veröffentlicht hat. Adamson stammt aus Indianapolis im US-Bundesstaat Indiana und klingt wie kein Zweiter. Und das ist im Pop bekanntlich eine rare Kunst geworden: All dem hunderttausendfach Gesagten und Gespielten doch noch etwas Neues abzuringen.

Ohne den Referenzrahmen, der Adamson ohnehin nur unzureichend gerecht werden würde, überstrapazieren zu wollen, seien hier dennoch einige Namen erwähnt, die einem beim Hören von Ropechain in den Sinn kommen: Suicide. Hasil Adkins. Beck. ESG. Adrian Orange. Aphex Twin. The Cramps. Alec Empire. Doch bevor man sich auf diesem kuscheligen Bankerl zu gemütlich einbaut, sollte man das gleich alles wieder vergessen. Grampall Jookabox - das soll kindersprachlich für Grandpa's Jukebox stehen - klingt wie niemand dieser ebenfalls reichlich Ausgeflippten. Eher schon wie alle zusammen.

Noch in der Grundschule bekam Adamson von einem Onkel ein Vierspurgerät geschenkt. Seitdem hat der schwerst unter Hotel-Mama-Verdacht stehende Twentysomething zwar etwas auf- und nachgerüstet, die primitive Ausrichtung seiner Musik hat er jedoch beibehalten. So baut er heute noch grob verschraubte, schlecht verleimte und mit scheppernden Beats über staubige Landstraßen gehetzte Stücke, bei denen aus jeder Bruchstelle ein eigener kleiner Bastard zu entstehen scheint. Ein kleiner Auszug aus dem Netz belegt, was diverse Rezensenten aus seiner Musik alles heraushören wollen: HipHop, Punk, Deep House, Techno, Appalachen Folk, Blues, Gospel, Rockabilly, Chain Gang Hymnen und, und, und. Sie alle haben recht.

Ropechain eröffnet mit einem Beatgedonner, wie man es aus einschlägigen Giftküchen kennt. Dazu erhebt ein Mädchenchor seine Stimmen und wird mit seinem Soul- oder Gospel-Idiom in das Gewitter gemischt. Roh, aber dennoch stimmig und charmant. Es folgt das schwindsüchtige und programmatisch betitelte Let's Go Mad Together: Elendssamples, die Fifties-UFO-Filmen entnommen sein könnten, kollidieren mit Gitarrenriffs, während Adamson eine überzeugende John-Lydon-Imitation gibt. Vieles klingt hier billig und schäbig. Ein ungestörter Beat, ein klares Riff, eine verständliche Gesangsspur, das alles scheint Adamson nicht wirklich zu interessieren. Er deformiert und irritiert mit großer Hingabe so lange, bis alles richtig scheppert, pfeift und raucht.

Dass bei dieser stellenweise anstrengend anzuhörenden Arbeit sogar potenzielle Hits wie The One Thing abfallen, erfreut den Hörer ebenso wie Balladen. Etwa das kindische Ghost oder das Ungemach vermutende We Know We Might Be Fucked. Dazwischen eingebettet ist mit I Will Save Young Michael ein den jungen Michael Jackson beschwörendes Kleinod: "Michael, don't touch your face". Zu spät, wie wir wissen. Und schließlich kommt noch Strike Me Down. "O God is coming back", singt Adamson darin. Und: "He spoke to me." Dann marschieren die Beats los, das Kinderglockenspiel läutet, während ein Sample "Strike me down" fordert. Was da noch ernst gemeint ist - man möchte es gar nicht so genau wissen. Nachgereicht als noch ein weiteres Album des Jahres. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2008)