Zur Person

Der Soziologe Jens Kastner arbeitet derzeit an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen linke Bewegungen abseits der Sozialdemokratie.

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STANDARD: Die gewalttätigen Proteste haben Spanien, Dänemark und Italien erfasst. Ist da eine vernetzte Bewegung aktiv, oder befriedigen Nachahmer ihre Zerstörungswut?

Kastner: Die Proteste werden unterschätzt, wenn gesagt wird, dass da nur ein paar Krawallbrüder am Werk sind. Die Demos sind sehr wohl in einem politischen Zusammenhang zu sehen: In Griechenland findet eine neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft statt, Stichwort Hochschulreform und Privatisierungen, womit viele unzufrieden sind. Die Demos reihen sich damit in die Serie globalisierungskritischer Proteste ein. Ein Beleg dafür ist, dass sich die recht starke und gut vernetzte anarchistische Szene Griechenlands an den Protesten beteiligt hat.

STANDARD: Aber gerade Anarchisten gelten als gewaltbereit.

Kastner: Das wird in Österreich und Deutschland so empfunden, weil hier die anarchistische Bewegung seit den 1930er-Jahren keine Rolle mehr spielt. In Griechenland ist das anders: Anarchistische Gruppen waren aktiv am Widerstand gegen die Militärdiktatur (1967 bis 1974, Anm.) beteiligt und sind dadurch erstarkt. Auch in Spanien spielt die Bewegung, die im Spanischen Bürgerkrieg ihren Höhepunkt hatte, eine Rolle. Und tatsächlich ist nur ein kleiner Teil der Anarchisten gewaltbereit, obwohl immer ein paar dabei sind, die einfach nur Steine werfen wollen.

STANDARD: Was ist das politische Ziel der Bewegung?

Kastner: Anarchisten fordern die Auflösung der Herrschaftsverhältnisse, wobei ich die Proteste in Griechenland eher als Sozialrevolte und nicht als klassisch-politische Bewegung sehe. Denn die Demonstranten erheben kaum konkrete Forderungen, etwa nach der Änderung bestimmter Gesetze.

STANDARD: Könnten die Demos auch nach Österreich übergreifen?

Kastner: Nein, ich denke die Proteste werden in den kommenden zwei, drei Tagen abebben. Das Potenzial ist in Österreich auch zu gering, was vor allem historische Gründe hat: Die österreichische Sozialdemokratie hat den außerparlamentarischen Bewegungen nie viel Raum gelassen, ihr ist es in den 1970er-Jahren gut gelungen, die linken Gruppen zu integrieren. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2008)