Der Bundespräsident ist für sein stetes Bemühen bekannt, politischen Erscheinungen auch dort Positives abzugewinnen, wo andere vergeblich um einen solchen Zugang ringen. So goss er in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten seine Hoffnungen in das rot-schwarze Gekuschel in den Satz: "Die Regierung kann sich geradezu austoben im Reformbereich."

Ob die Regierung dieser Aufforderung nachzukommen gedenkt, werden die Österreicherinnen und Österreicher bald merken. Beobachter außerhalb der Präsidentschaftskanzlei neigen allerdings zu der Auffassung, dass sich die reformatorische Tobsucht dieser Koalition in Grenzen halten wird - eine Ansicht, in der sie sowohl die Regierungserklärung als auch der Mangel an einer Verfassungsmehrheit bestärkt.

"Neugründung" der Volkspartei?

Mit der Strategie, nur keine Versprechen zu machen, um einem späteren Vorwurf der Nichteinlösung schon jetzt aus dem Weg zu gehen, zurren die von höchster Stelle zu Reformen Ermunterten selbst die Zwangs-jacke fest, die sie an einem Übermaß an Reformraserei hindern soll. Als wären die Landeshauptleute als Schutzpatrone des Föderalismus nicht Garantie genug, dass nichts weitergeht. Könnte man also nicht umso eher erwarten, dass die regierenden Parteien für ein frisches Lüftchen sorgen, indem sie die Ungunst der Stunde nützen und sich endlich einmal selbst ein wenig reformieren?

Der neue ÖVP-Obmann hat das sogar angekündigt - die SPÖ war vorsichtiger -, allerdings gehört das nach verlorenen Wahlen seit Jahrzehnten zum konservativen Parteiritual. Sofort haben sich einige richtig ausgetobt, von einem "Neustart" der Partei war die Rede, ein rasender Roland verstieg sich sogar zur Forderung einer "Neugründung" der Volkspartei, was aber rasch als Sakrileg abgetan war, sodass inzwischen nur noch einer Programmdiskussion die Rede ist.

Die SPÖ wirkt zufrieden...

Dabei hätte ihre ständig sinkende Glaubwürdigkeit den traditionellen Koalitionären schon längst zu denken geben müssen. Noch in den späten Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts vertraten sie gemeinsam an die 85 Prozent der Wähler, 2008 ist das Reservoir auf 55 Prozent geschrumpft, und zwar - abgesehen vom Ausreißer des Jahres 2002 - kontinuierlich. Die ÖVP ging in diesem Prozess voran. 1990 sackte sie erstmals und markant auf unter 40, vier Jahre später auf unter 30 Prozent ab, ohne sich dauerhaft zu erholen.

Die SPÖ, Ende der Siebzigerjahre noch bei 51 Prozent, fiel 1994 auf unter 40, heuer erstmals auf unter 30 Prozent. Das hat nicht nur mit der Qualität des Regierens zu tun. Die Nachhaltigkeit dieses Trends zeigt vor allem eines: dass zwei (einst und gerade noch) staatstragende Parteien, die vorgeben, gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, ihn für sich selbst nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Oder können.

... solange sie nur stärker bleibt als die ÖVP

Die SPÖ wirkt zufrieden, solange sie nur stärker bleibt als die ÖVP. Und ob die ÖVP diesmal einen Neustart schafft, der diesen Namen verdient? Man könnte die Gelassenheit, mit der beide der 20-Prozent-Marke entgegentrudeln auch bewundern, stünde ihnen und dem Land nicht der ideologische Einheitsabschaum schon jetzt bis zum Hals, den FPÖ und BZÖ versprühen. Es wäre Zeit, sich ein wenig auszutoben - an sich selbst. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2008)