Europäische Zentralbank in Frankfurt in Planung: "Ende 2009 wird es eine Entscheidung geben, wenn es uns gelingt, die Kosten zu halten - woran aber kein Zweifel besteht."

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 Vor drei Jahren gewann Coop Himmelb(l)au den Wettbewerb für ein neues Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt: Ein gigantisches Projekt, ein avancierter Entwurf - und nicht zuletzt ein Kristallisationspunkt für Neid und Häme unter den Kollegen, die dieses Ding allesamt sehr gern gebaut hätten.

Als vergangenen Sommer mit Züblin nur ein einziger Anbieter auf die Ausschreibung für Generalunternehmer ein Anbot legte und den zuvor von den Wiener Architekten mit rund 500 Millionen Euro kalkulierten Preis auf kolportierte 1,6 Milliarden pushte, raschelte es nur so im deutschen Blätterwald. Das Projekt sei zu kompliziert, hieß es, und - eine derartige Architektur, das habe man immer schon gewusst, könne eben nur um völlig abartige Summen errichtet werden.

Die Zentralbank legte eine Denkpause ein. Coop Himmelb(l)au blieben derweil cool. Denn, wie Wolf D. Prix sagt: "Wir konnten nachweisen und durch Marktrecherchen feststellen, dass unsere Kostenrechnung plus/minus dennoch richtig war." Die EZB beauftragte in der Folge die Wiener Architekten mit der Ausführungsplanung und mit einer neuerlichen Ausschreibung. Die wird im Laufe des kommenden Jahres allerdings nicht als Gesamtpaket für Generalunternehmer, sondern in Häppchen erfolgen, also auf die einzelnen "Gewerke" verteilt. Nachvollziehbar und nachkalkulierbar.

Prix: "Ende 2009 wird es eine Entscheidung der Bank geben, wenn es uns gelingen wird, die Kosten zu halten - woran aber kein Zweifel besteht. Dann gäbe es Anfang 2010 den Baubeginn und die Fertigstellung 2013/14."
Wie kann es allerdings in den Berechnungen der Bauindustrie zu einer derartigen Kostensteigerung kommen? Und warum bietet überhaupt nur ein einziges Unternehmen an? Prix verweigert aus gutem Grund bei laufenden Verhandlungen jegliche Aussagen über das spezielle EZB-Verfahren, außerdem seien die kolportierten 1,6 Milliarden sowieso falsch.

Doch generell lassen sich ein paar Faktoren heraussezieren, die derlei Preisexplosionen plausibel machen - und die vielleicht in Betracht gezogen werden sollten, bevor Kostensteigerungen immer und ausschließlich den Architekten in die Schuhe geschoben werden. Beispiele dafür gibt es genug. So wirft man etwa derzeit den gewöhnlich überaus korrekten und des Kalkulierens durchaus mächtigen Schweizern Herzog & de Meuron die Kostenexplosion ihrer Elbphilharmonie im Hamburger Hafenviertel vor.

Doch in Wirklichkeit ist das Spiel weitaus komplizierter als die simple Annahme, Architekten würden sich eben chronisch verrechnen. Dass es tatsächlich völlig untransparent abläuft, hat gleich mehrere Gründe: Nicht zuletzt liegt das an den verschlungenen Strukturen einer mächtigen, politisch normalerweise sehr gut abgefederten Bauindustrie.

Zur Erinnerung: Gerade die Bauwirtschaft ist diejenige, mit der Volkswirtschaften in Krisenzeiten bis zu einem gewissen Grad abgepuffert werden können. Außerdem befasst sie sich mit einer für Außenstehende so gut wie nicht nachvollziehbaren, nicht kontrollierbaren Materie.

Auf der anderen Seite sitzen Auftraggeber, die ab einer entsprechenden Größe selbstverständlich über mit allen Wassern gewaschene Rechtsabteilungen verfügen, deren Auftrag es ist, jedes auch nur erdenkliche Risiko zu minimieren, wenn nicht zu eliminieren. Jeder Anbieter, der diesen von den Paragrafenfuchsern geschnitzten ungeheuerlichen Vertragswerken entsprechend kalkuliert, lässt seinerseits erst einmal eine Heerschar der eigenen Juristen das Feld durchkämmen.

Schließlich und endlich sind alle Beteiligten - bis auf die Architekten natürlich - von derartigen Sicherheitswällen in Form von Auf- und Zuschlägen und unsichtbar hineingerechneten Sicherheitsspannen umgeben, dass die Kosten zu gewaltigen Gebirgen angewachsen sind. Generalunternehmer schlagen ihre Spannen auf die Subunternehmer, ein insgesamtes Spannen-Addieren findet statt, das eben in ordentlich Summen mündet.

Prix bestätigt das, und meint zudem: "Man kann die Preise selbstverständlich darüber hinaus noch mit allem Möglichen weiter erhöhen, zum Beispiel indem man unmöglich kurze Bauzeiten verlangt." Und: "Dazu kommt, dass in unserer Gesellschaft das I-win-Prinzip zum obersten Gebot geworden ist - sprich: Je toller man den anderen übers Ohr haut, desto größer ist das eigene Heldentum. Das Ausbalancieren von gemeinsamem Erfolg ist nicht mehr das Ziel - und bei solchen Großprojekten schon gar nicht."

Doch gewinnen wollte doch immer schon jeder. Was hat sich also verändert im turbokapitalistischen System? Prix ist überzeugt: "Die frühere Handschlagqualität zwischen Architekt und Handwerker, die eine für beide gute Situation darstellte, weil beide etwas davon hatten, die hat sich aufgehört. Durch den Turbokapitalismus und die Ich-AGs ist das völlig verlorengegangen."

Dazu kommt, dass die rechtliche Situation es oftmals verbietet, dass Architekten und Anbieter gemeinsam an der Lösung einer technischen Herausforderung arbeiten, bevor die Anbote gelegt werden. Auch das erhöht oftmals die Preise enorm. Wie man sich als Architekturbüro gegen all diese Tendenzen stellt und dennoch nicht verliert, liegt für Prix ebenfalls auf der Hand: "Ich denke, das Einzelkämpfertum, also der geniale Architekt, der ganz allein alles kann, das ist endgültig vorbei. Man muss lernen, die Aufgaben wie in einem guten Fußballteam zu verteilen. Als guter Architekt ist man dann halt der Zidane, der den tollen Querpass schlägt, der zum Ziel führt. Aber dass das einer allein schaffen kann - unmöglich!"

Die Verteidigung würden die Juristen stellen. Allein am EZB-Projekt arbeiten derzeit an die 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Prix: "Das sind nicht nur Architekten, sondern eine Vielzahl von Konsulenten, wie Bauphysiker, Haustechniker, die koordiniert, gemanagt werden müssen. Das ist eine hochkomplexe Aufgabe." Und die Juristen? - "Klar! Die arbeiten ordentlich mit." Auf die Frage, ob er selbst, so er noch einmal 18 wäre, wieder Architektur studieren würde, sagt er: "Nein. Ich würde Rechtsanwalt für Architekten werden. Weil die mehr verdienen." (Ute Woltron, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 13./14.12.2008)