Die bestimmende Rolle der Habsburg-Metropole bei der Formulierung der mitteleuropäischen Kultur ist unbestritten. Dass sich dies auf der Basis der deutschen Sprache entwickelt hätte, ist eine Fälschung der Nationalisten des 19. Jahrhunderts und ihrer totalitären Nachkommen im 20. Wien hat immer mehrere Sprachen gesprochen. Nicht nur am Hof, sondern auch auf den Straßen.

Der Kriminalroman "Veritas" des italienischen Autorenpaares Monaldi & Sorti spielt im barocken Wien, wo in der "City" damals Italienisch stark vertreten war. Die beiden ehemaligen Journalisten leben seit 2004 vor allem in Wien, weil sie vor den Durchgriffen der Berlusconi-Clans regelrecht flüchten mussten. Die Stadt ist ihnen innerlich am nächsten.

Im Café Schwarzenberg sprachen wir über Gott und die Welt = Vatikan und Politik. Man könnte auch sagen: über die Macht von historischen Fälschungen und von unterdrückten Wahrheiten. Nach 9/11 im Herbst 2001 erlebte Papst Innozenz XI., 1956 seliggesprochen, eine Renaissance. Da er 1683 den polnischen König Sobieski mit Kirchengeldern finanziert hatte, konnte dieser auch zum Retter Wiens vor den Türken werden. Will heißen: zum Retter des Abendlandes vor dem Islam.

Also plante der Vatikan auch gleich eine Heiligsprechung dieses Papstes. Als Beitrag der katholischen Kirche im Kampf gegen den Terror. Leider recherchierten damals auch Monaldi & Sorti für ihren Roman "Imprimatur" in den vatikanischen Archiven. Sie stießen auf eine gewaltige Peinlichkeit. Innozenz XI. hat auch den protestantischen Wilhelm von Oranien (Wilhelm III. von England) gegen den katholischen Jakob III. unterstützt und damit dem Vatikan enorm geschadet.

Rom reagierte schnell. Der Prozess der Heiligsprechung wurde gestoppt, vom Verlag Mondadori (der Berlusconi gehört) wurden die Bücher (Auflagenstand: 15.000) sofort aus den Regalen genommen. Die landesweiten Zeitungen strichen "Imprimatur" aus den Bestsellerlisten. Den Autoren wurde bedeutet, dass man auch ihre Artikel nicht würde publizieren können.

Der Fluchtpunkt hieß Wien, der neue Verlag De Bezige Bij war niederländisch. Monaldi & Sorti recherchierten fortan vermehrt in der Nationalbibliothek. Mit guten Ergebnissen. Vor allem deshalb, weil ihre Plots im Unterschied zu Verschwörungsromanen à la "Da Vinci Code" auf unanfechtbarem Archivmaterial aufbauen.

Ihr jüngstes Buch "Die Zweifel des Salai" beruhen auf einer weiteren sensationellen Entdeckung. Monaldi & Sorti glauben genügend Beweise zu haben, dass "Germania" von Tacitus, bildstiftend seit Jahrhunderten für Kultur und Lebensweise der Germanen, eine veritable Fälschung ist. Im Nachwort des Romans ist die abenteuerliche Geschichte des ältesten Manuskripts bis herauf zu Hitlers Ambitionen dokumentiert. Jener Historiker, der systematisch an der Zerstreuung seit langem gehegter Zweifel an der Echtheit des Manuskripts arbeitete, war Obersturmbannführer Herbert Jankuhn, bis 1990 Professor für Frühgeschichte in Göttingen. Gibt es Geschichte ohne Ideologie? (Gerfried Sperl, DER STANDARD/Printausgabe, 15.12.2008)