Foto: Tinzl/Flunger

Johanna Tinzl und Stefan Flunger in ihrem Arbeitsraum in Wien Leopoldstadt: prozessorientierte Kunst, audiovisuelle Installationen.

Foto: derStandard.at
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Installationsansicht der Arbeit Kleiner Morgen (2007/2008): Mediale und politische Wunderkammer, Simulationsmaschine.

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Alltägliche Endlosschleifen: La défense oder: ∞ (2006): Modell für eine Installation im öffentlichen Raum.

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Ökonomie der Zeit (2008), Installation auf den Dächern verlassener Markthütten bei der Ausstellungsserie unORTnung.

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"Als prozesshafte Angelegenheit", beschreiben Johanna Tinzl und Stefan Flunger ihre künstlerische Zusammenarbeit. Bemerkbar macht sich das nicht nur an ihren konzeptuellen Installationen, sondern auch an der Fülle der Utensilien, die sie seit 2004 in ihrem Arbeitsraum in Wien Leopoldstadt sammeln und lagern: jede Menge Bücher und Apparaturen zur Wiedergabe von Ton und Bild aus den unterschiedlichsten Epochen. Außerdem Werkzeuge, Instrumente, Alltagsgegenstände. Und ein dicker brauner Sessel aus den 1950er Jahren - vermutlich, um all die Bücher zu lesen, die dort in den Regalen stehen.

Schnittmengen

Johanna ist ausgebildete Künstlerin, Stefan Kunsthistoriker. "Aber so eindeutig muss man das gar nicht darstellen", sind sich die beiden einig. In Form audiovisueller Installationen bearbeiten sie Graubereiche, Schnittmengen, Überlagerungserscheinungen zwischen Gesellschaft, Politik und Technik, sowie die Rolle der Wahrnehmung im Zusammenspiel aus öffentlichem Raum und dem täglichen Leben. Begleitet werden ihre Arbeiten stets von intensiver Recherche. Auf ihrer Website schreibt das aus Tirol stammende Duo: "Momente der Wiederholung des Vertrauten, die aus unserer medialen Wirklichkeit destilliert sind, bilden die Grundstruktur einer Ordnung, eines Systems."

Romantik

Mit der Videoinstallation Kleiner Morgen (2007/2008) sind Johanna und Stefan Teil jener Gruppe junger KünstlerInnen, die sich in der Ausstellung Austria Contemporary im Essl Museum in Klosterneuburg präsentieren. Auch wenn sie bei dieser poetischen Arbeit vom "romantischen Bild der Landschaft" ausgehen und somit einen klassisch kunsthistorischen Zugang zum Medium Video wählen, reflektieren sie sowohl auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene aktuelle und vor allem medien- und gesellschaftspolitisch relevante Themen.

Technologien

In Kleiner Morgen wird ein mit transparentem Stoff bespannter Kubus aus Holzrahmen auf einer seiner vier Außenseiten mittels Rückprojektion mit den Bildern einer von Nebelschwaden durchzogenen Berglandschaft bespielt. Trotz der geheimnisvollen Bilder, bleibt nichts vom Installationssetting versteckt. BetrachterInnen haben freien Blick auf die Technik: ein Beamer, Kabel und vier Lautsprecher. "Uns ist wichtig, dass die BesucherInnen auch die Apparatur sehen können", erklären die beiden ihre formale Herangehensweise an das einstündige Video, das in Ost-Bosnien gedreht wurde: "Es geht uns ja auch darum, Medienrealitäten und deren Konstruktion zu zeigen. Daher bleibt der Blick auf die technischen Mittel frei, die das Bild und den Ton produzieren"

Simulierung

Bei ihrer "Simulationsmaschine", wie sie Kleiner Morgen auch nennen, wird der Blick auf eine "schöne" Landschaft zu einem politischen: Es ist eine Landschaft, in der es bereits im Zweiten Weltkrieg zu ethnischen Säuberungen kam und zuletzt wieder während des Balkankriegs in den 1990er Jahren. Johanna Tinzl und Stefan Flunger brechen mit der kontemplativen Wirkung ihrer Bilder, indem sie Zitate, theoretische Texte, Berichte aus Reiseführern und Zeitungsausschnitte über die Bildebene des Videos legen und von unterschiedlichen Frauen- und Männerstimmen lesen lassen. Sie hinterfragen die medial vermittelte Geschichtsschreibung, die heute "Wirklichkeit" konstruiert und wollen dabei unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung ausdifferenzieren. Als BetrachterIn wird einem das erst so richtig bewusst, wenn sich der eigene Schatten in die Nebellandschaft einfügt und somit die Selbstwahrnehmung mit den erzählten Bild- und Textgeschichten überlagert. Man hat den Eindruck, als hätte jeder Mensch Erfahrungen, mit denen er an die Installationen anknüpfen kann. Sei es der Zugang über das Bild, den Text, den Sound oder die Stimmung im Ausstellungsraum.

Endlosschleife

"Eine Frage, die sich uns immer wieder stellt", so Stefan, "ist, wie Medien heute verwendet werden, um Wirklichkeiten zu erzeugen." Bei der Recherche über die Darstellung von Realitäten gehen die beiden nicht nur in die Frühzeit der Medien- und Technikgeschichte zurück und beziehen sich wie etwa im Fall von Kleiner Morgen auf das Barock, die magischen optomechanischen Apparaturen eines Athanasius Kircher oder eines Giovan Battista della Porta. Sie betreiben stets eine Art von Medienarchäologie, die sie thematisch in die Gegenwart transferieren, was sich in der Arbeit La défense oder: ∞ (2006) am Beispiel von Überwachungskameras manifestiert. Die Linsen zweier Kameras wurden hier so installiert, dass sie sich gegenseitig in einer dauernden Bewegung halten, einen Loop erzeugen, sich überwachen und somit ad absurdum führen. Ausgangspunkt für dieses Gedankenspiel ist der Schnittpunkt der beiden Schleifen des mathematischen Zeichens für Unendlichkeit: "∞" - Ein Symbol, das in unterschiedlichen Kontexten, Religionen und wissenschaftlichen Disziplinen immer wieder auftaucht. "Diese kinetische Installation ist die Versuchsanordnung für eine Arbeit im öffentlichen Raum", so Johanna, die auch die Frage ins Spiel bringt, inwieweit sich die Form ihrer Objekte mit dem Inhalt ergänzt. Als MedienkünstlerInnen würden sich aber weder Tinzl, noch Flunger, bezeichnen: "Alles ist möglich, es geht um Inhalte und nicht um Kategorien."

Alternativen

Johanna Tinzl und Stefan Flunger stellen gerne bei Projekten im öffentlichen Raum aus. Bei der an unterschiedlichen Orten in Wien stattfindenden Ausstellungsserie unORTnung etwa waren sie mit der Arbeit Ökonomie der Zeit (2008) vertreten und präsentierten eine temporäre Schriftinstallation auf den Dächern verlassener Markthütten. Auf die Frage, inwiefern sich die Arbeit alternativer Produktionsstätten und die von Museum unterscheidet, antworten sie mit einem Augenzwinkern: "Im Offspace ist im Grunde alles möglich: schnell und direkt; im Museum geht es auch um die Kategorien der Respräsentation." Sie lachen: "Der größte Unterschied liegt jedoch in der Ökonomie der Aufmerksamkeit". (fair, derStandard.at, 26.12.2008)