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Der Kündigungsschutz ist für die Karrierechancen behinderter Menschen oft kontaproduktiv - das soll sich ändern, fordern Vertreter

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Zur Person

Julian Hadschieff arbeitet im Management von Humanocare und Humanomed (Betreiber von Privatkliniken und Seniorenbetreuungseinrichtungen).

"Willenskraft und eine positive Einstellung sind der Schlüssel zu meinem Erfolg. Die starke Sehbehinderung als Teil meiner Persönlichkeit anzunehmen ist dafür absolute Voraussetzung." (Julian Hadschieff)

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Für Menschen mit Behinderung bedeutet arbeiten häufig Beschäftigungstherapie in Maßnahmen, die eigens für sie geschaffen wurden. Der so genannte zweite oder geschützte Arbeitsmarkt soll zwar helfen, irgendwann am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, doch die Realität sieht meist anders aus. Von einem selbst bestimmten Leben und Integration in die Gesellschaft sind diese Menschen damit oft weiter entfernt, als ihnen lieb ist. Karrieren von Menschen mit Behinderung stehen und fallen mit einem barrierefreien Zugang zu Bildung und Arbeit. Bei der Impulstagung "Barrierefrei Karriere frei!" wurde das Thema diskutiert und behinderte Menschen zeigten, dass Behinderung nicht unbedingt behindern muss und dass auch außergewöhnliche Karrieren möglich sind.

Die Tagung ist Teil des Projekts "Best Practice International 2008", das vom Bundessozialamt gefördert und von 'Freak - Verein zur Förderung von Menschen mit Behinderung in den Medien' veranstaltet wird. "Wir wollen Personen aus verschiedenen Bereichen zusammenführen", erklärt Projektleiter Jo Spelbrink. Es gebe noch immer sehr viel Unwissen im Umgang mit behinderten Menschen und ebenso in der Arbeitswelt. Oft fehle das Wissen, was Barrierefreiheit überhaupt ist. Spelbrink wünscht sich für behinderte Menschen mehr Kontakt mit der Wirtschaft.

Management-Leistung

Für Erfolg im Job und auch im Leben braucht es für alle Menschen zweierlei: Glaube an sich selbst und das Vertrauen von anderen. "Man muss hart arbeiten, Gläser halb voll, statt halb leer sehen und nicht in eine Depression fallen, weil gerade einmal etwas nicht funktioniert", beschreibt der seit seinem siebten Lebensjahr sehbehinderte Julian Hadschieff sein Lebensmotto und meint damit, dass es auch viel Eigeninitiative und positive Lebenseinstellung braucht um weiter zu kommen.

Hadschieff ist geschäftsführender Gesellschafter von Humanocare und Humanomed Management - beides Unternehmen im Gesundheits- und Pflegebereich - mit rund 1.600 Mitarbeitern. Außerdem ist er Fachverbandsobmann der Gesundheitsbetriebe in der Wirtschaftskammer, in seiner Freizeit macht er viel Sport. 2007 hat er den Life Award für Menschen mit Handicap in der Kategorie 'Wirtschaft und Gesellschaft' bekommen. Mit rund drei Prozent Sehvermögen kann er "eher Umrisse erkennen als sehen". Ihm ist die Integration behinderter Menschen ins normale Arbeitsleben ein Anliegen, er versteht sich als Botschafter zwischen den 'Welten'. Hadschieff glaubt, dass behinderte Arbeitnehmer im Verhältnis mehr leisten müsse als andere, um anerkannt zu werden. Für ihn selbst war von Anfang an klar: "Entweder ich schaffe es ganz hinauf oder ich bleibe ganz unten."

Barrierefreiheit im Kopf

Für behinderte Menschen in der Arbeitswelt kann eine E-Mail oder ein Telefon eine Barriere bedeuten. Verbessert haben sich manche technischen Bedingungen: die Entwicklungen im IT-Bereich wie künstliche Stimmen, eine eigene Sprachsoftware für den PC oder sprechende Handys helfen sehbehinderten Menschen ebenso wie Vergrößerungsbildschirme. Immer mehr, aber immer noch zu wenige, Gebäude werden rollstuhlgerecht geplant und umgebaut. "Vor allem aber muss die Gesellschaft die Barrieren im Kopf abbauen", so Hadschieff. Zudem brauche es den Glauben in das Potenzial von behinderten Menschen und vor allem auch bessere Bildungschancen.

Wettbewerbsvorteil

Hadschieff sieht vor allem den Dienstleistungs- und Sozialbereich als mögliches Einsatzgebiet für behinderte Menschen - mit Vorteil für das Unternehmen: "Die Kunden fühlen sich wohler, wenn ihnen Wertschätzung und Respekt entgegen gebracht wird". Auch für Jo Spelbrink bedeutet Diversity in einem Unternehmen eine Form von Kundenfreundlichkeit.

Den Managern müsse man erkläre, meint Hadschieff, wie beide - Unternehmen und Arbeitnehmer - etwas von der Zusammenarbeit haben. "Pure Sozialromantik" alleine sei zu wenig. "Viele Unternehmen glauben, dass behinderte Menschen nicht die Leistung erbringen können. Das richtige Prinzip ist dabei die Stärken von jemandem hervorzukehren und ein entsprechendes Beschäftigungsfeld zu finden", weiß Spelbrink. Das erhöhe auch die Motivation der Betroffenen. Aber es gibt viel zu wenige Angebote. "Auch Unternehmensgründungen sind für behinderte Menschen möglich, man darf nicht automatisch annehmen, sie seien nicht fähig dazu", so der Projektleiter vom Verein 'Freak'.

"Kündigungsschutz schränkt ein"

Gesetzliche Barrieren machen die Anstellung von behinderten Menschen nicht einfacher. Stellt ein Unternehmen einen Arbeitnehmer mit Behinderung ein, steht er unter Kündigungsschutz - eine Tatsache, die viele abschreckt. Hadschieff glaubt, dass dieser gut gemeinte Schutz die Chancen behinderter Menschen am Arbeitsmarkt eher einschränkt: Personalverantwortliche fürchten, dass sie sich nicht mehr ohne große Schwierigkeiten von dem Arbeitnehmer trennen können. "Ich bin daher für den Wegfall des Kündigungsschutzes und trete stattdessen für eine längere Kündigungsfrist und eine höhere Abfertigung ein", so Hadschieff. Für ihn sei das eine bessere Lösung für beide Seiten.

Was aber viele Arbeitgeber nicht wissen, so die Information einer Vertreterin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ): In den ersten sechs Monaten können behinderte Menschen sehr wohl gekündigt werden, wenn die Leistung nicht den Erwartungen entspricht. Einig sind sich die Teilnehmer an der Veranstaltung darüber, dass die scheinbaren Schutzbestimmungen für behinderte Arbeitnehmer eher behindernd als schützend sind, wenn man möglichst viele behinderte Menschen in eine würdevolle Beschäftigung bringen möchte.

Passus Arbeitsunfähigkeit

Oliver König, Lektor an der Uni Wien, sieht die Lage ähnlich. Er bemüht sich die Situation von Menschen mit Behinderung in Österreich zu erforschen, denn empirische Daten dazu fehlen. „Eine Person gilt in Österreich dann als arbeitsunfähig, wenn sie 50 Prozent der Leistung erbringen kann. Das ist kontraproduktiv für die Karrierechancen dieser Menschen", so König. "Die Beschäftigungstherapie ist dann oft die einzige Perspektive, obwohl die Menschen anderes leisten könnten", kritisiert König. Im Rahmen einer Studie gaben über die Hälfte der in Wiener Werkstätten beschäftigten Personen an, dass sie lieber außerhalb arbeiten möchten.

Den Passus 'Arbeitsunfähigkeit' sieht König als diskriminierenden Faktor. Dazu komme noch ein weiteres Problem: "Österreich hat ein sehr differenziertes System von Arbeitsintegration, es sind viele Träger am Markt und die Maßnahmen meist nur auf sehr kurze Dauer angelegt". Außerdem gibt es neun unterschiedliche Landesbehindertengesetze mit anderen Leistungen und Maßnahmen.

Best Practice

Ein Best Practice Beispiel in Vorarlberg zeigt, wie es funktionieren kann: 'Spagat' ist ein Projekt der 'Integration Vorarlberg' zur beruflichen Eingliederung von Schulabgängern mit schweren Behinderungen. Derzeit gibt es in Vorarlberg rund 140 integrative Arbeitsplätze, die meist so genannte Nischenarbeitsplätze sind. Das bedeutet, dass sie ganz neu geschaffen wurden. In jedem Betrieb ist ein Mentor anwesend, der nicht von außen kommt, sondern im besten Fall jemand in einer Schlüsselposition im Unternehmen ist. Die Lohnkosten werden an den Betrieb als Lohnkostenförderung subventioniert und das auf Dauer.

Motivation für alle

Hadschieffs Geschäftspartner wissen von seiner Sehbehinderung, die man ihm nicht auf den ersten Blick ansieht. "Bis jetzt habe ich keine einzige schlechte Erfahrung gemacht", erzählt er. Als Arbeitgeber macht er gute Erfahrungen mit behinderten Mitarbeitern. Auch Menschen ohne Behinderung könnten von der Zusammenarbeit profitieren: "Wenn sie sehen wie behinderte Kollegen ihr Leben meistern, kann das Zuversicht schenken", sagt der Manager und verweist auf außergewöhnliche Leistungen: "Ich sehe beim Sport querschnittgelähmte Menschen mit 120 km/h die Piste hinunter rasen." Auch das Beispiel aus Voralrberg zeigt, wie Kollegen profitieren können: "Viele Betriebschefs in Vorarlberg haben gesagt, dass sich das soziale Klima im Unternehmen verbessert hat, auch wenn die Personen nicht gleich viel zur tatsächlichen Wertschöpfung beitragen", weiß König. Eine wertvolle Bereicherung, die das Arbeiten für alle menschlicher macht. Hadschieff ortet aber in manchen Unternehmen eine andere Art der Behinderung: bei der einen oder anderen Führungskraft - und zwar in sozialer Kompetenz. (Marietta Türk, derStandard.at, 17.12.2008)