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Protest im Gazastreifen gegen die USA und für die Freilassung des inhaftierten irakischen Schuhwerfers und Journalisten Muntazer al-Zaidi.

Foto: AP Photo/Hatem Moussa

Montasser al Said, der als "Schuhwerfer" in die Geschichte eingehen wird.

Solidarität mit al Said. Demonstranten fordern seine Freilassung.

Im Internet florieren die Schuhwurfspiele.

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Wien/Bagdad/Washington - Der scheidende US-Präsident George W. Bush hat seinen Nachfolger Barack Obama übertrumpft - zumindest im Internet. Das Video vom „Schuhattentat" auf den US-Präsidenten vom Sonntag in Bagdad dürfte laut einer Zählung des Visible Measures Blog bereits öfter angesehen worden sein, als die Siegesrede Obamas nach seiner Wahl zum Präsidenten am 4. November. Bereits nach 24 Stunden wurde die Bush-Attacke über 4,5 Millionen Mal gesehen.
Daneben hat das Attentat auch die Politik bereits erfasst, von Bagdad bis nach Caracas und Peking reichen die politischen Reaktionen: Venezuelas Staatschef Hugo Chávez ließ das Video während einer Kabinettssitzung abspielen und sprach ebenso wie die Hisbollah im Libanon von einem „mutigen Akt". Im Irak führte die Verhaftung des Schuhwerfers Muntazer al-Zaidi ohnehin sofort zu Massenkundgebungen, Fernsehformate wie TV-Total greifen das Motiv auf.

Aber warum erregt ein vermeintlich kleiner Zwischenfall derartige Aufmerksamkeit?
Weil die Symbolik passt, der Vorfall sich medial hervorragend ausschlachten lässt und die Schuhattacke vor allem im Westen populärkulturelle Assoziationen weckt, sagen Soziologen und Kommunikationswissenschafter einhellig. Die Rede ist vom „Attentat als Happening".
Dabei dürfte der Protest im Westen und im Nahen Osten gänzlich anders aufgefasst werden: „Im Westen reiht sich der Vorfall in die Serie der Bush-Hoppalas ein", sagt Christian Schwarzenegger vom Institut für Publizistik an der Uni Wien. Es gehe mehr um Spaß, „vielleicht um Dinge, die man selbst einmal gern mit Bush tun würde", aber nicht um politische Inhalte. Dagegen tauchen in Bagdad ebenso wie im Gazastreifen bereits tatsächlich Schuhe bei Straßenprotesten gegen die US-Nahostpolitik auf. Menschenrechtler und Journalisten forderten auch am Dienstag die Freilassung des Schuhwerfers al-Zaidi.

Foltervorwurf

Weiter anheizen dürfte die Stimmung, dass der Bruder des Schuhwerfers den irakischen Sicherheitsbehörden vorwirft, al-Zaidi in der Haft misshandelt zu haben. So sollen al-Zaidi mehrere Rippen gebrochen worden sein. Im Westen dagegen florieren Online-Schuhwurfspiele mit Bush als Zielscheibe. Daneben gibt es hunderte zusammengeschnittene Clips, in denen alles mögliche - Katzen, Bälle und sogar Saddam-Hussein-Köpfe - auf den US-Präsidenten geschmissen werden. Dass im Westen das „Schuh-Motiv" populärkulturell konnotiert und daher unpolitisch gesehen wird, zeigt sich für Schwarzenegger auch daran, dass der Vorfall viele an den Film Wag the Dog („Wenn der Hund mit dem Schwanz wedelt") erinnert.
In dem Film fingiert ein Hollywood-Produzent einen Krieg gegen Albanien, um den in einen Sex-Skandal verwickelten US-Präsidenten zu retten. Um die Freilassung eines ebenfalls fiktiven US-Kriegsgefangenen zu forcieren, werden dabei alte Schuhe auf Bäume geworfen. Der Soziologe Oliver Marchart von der Uni Luzern geht allerdings davon aus, dass die Schuhattacke sich auch in die europäische und amerikanische Protestkultur integrieren könnte. Denn die Protestform entspricht durchaus dem Zeitgeist: Klassische Formen des Straßenprotestes, wie Barrikadenkampf, werden seit den 70er-Jahren unpopulärer, sagt Marchart.
Dagegen bevorzugt die Antiglobalisierungsbewegung karnevaleske Protestformen, etwa „Clownarmeen". „In diesem Sinne kombiniert der Schuh alte und neue Protestformen: Das Motiv der Gewalt ist in dem Bild ebenso enthalten wie ein Slapstickelement", sagt Marchart. Tatsächlich kursieren im Internet bereits erste Aufrufe, US-Botschaften mit Schuhen zu bewerfen. (András Szigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2008)