Das Siegerwerk "Brüder und Schwestern" des rechtsextremen Künstlers Aleksej Beljaew-Gintowt zeigt völlig unironisch eine Stalin lauschende Menschenmenge.

Foto: Kandinsky-Preis

Eine zunehmende Faschisierung der "herrschenden Klasse" Russlands sei offensichtlich, sagen Kritiker.

Moskau – Seit 2007 gibt es den Kandinsky-Preis für zeitgenössische russische Kunst. In der Hauptkategorie "Kunstprojekt des Jahres" mit 40.000 Euro dotiert, soll damit die internationale Sichtbarkeit der russischen Kunst erhöht werden. Sponsor ist die Deutsche Bank, Veranstalter die Moskauer Kunstzeitschrift ArtChronika. In Russland selbst hatte der rollende Petrorubel in den nun vergangenen fetten Jahren zu einer ansehnlichen Kapitalisierung des Kunstmarkts geführt: Für die Moskauer Hautvolee galt aktuelles Kunstschaffen plötzlich als besonders schick.

Daher wundert es auch nicht, dass sich zur Preisverleihung 2008, die vergangene Woche in Moskau stattfand, auch bekannte Superreiche einfanden. Sie sahen eine High-End-Inszenierung, mit einer Performance der serbischen Künstlerin Marina Abramović, einem Auftritt der chinesischen Künstlerbrüder Gao und einem Vortrag des Philosophen Boris Groys. Die Preisvergabe selbst war aber nicht nur Grund zur Freude.

Neues russisches Imperium

Schon nach Bekanntgabe der Finalisten hatte es im liberalen und linken Segment der Moskauer Kunstszene ein lautes Murren gegeben. Denn neben Boris Orlow, einem Klassiker der im sowjetischen Underground praktizierten Sozart, und dem marxistischen Künstler Dmitri Gutow war von der Jury auch Aleksej Beljaew-Gintowt nominiert worden.

Weniger dessen konkretes Kunstschaffen, etwa das Gemälde Brüder und Schwestern, das völlig unironisch eine Stalin lauschende Menschenmenge zeigt, löste Protest aus. Vielmehr war von Beljaew-Gintowts politischem Engagement die Rede. Denn der Künstler ist führender Aktivist und "Stilist" der rechtsradikalen "Eurasischen Jugendunion". Diese Jugendorganisation des Rechtsaußenideologen Aleksandr Dugin träumt von einem neuen russischen Imperium. Eine Ansicht, die sich zuletzt im aktuellen Russland deutlich dem Mainstream angenähert hat: 2007 feierte die Organisation die ob ihrer Agressivität besonders umstrittene Münchener Rede von Wladimir Putin mit einer Demo.

Und Beljaew-Gintowt selbst erzählt etwa auf der Homepage der Gruppe, einem "Portal des Netzkriegs", über seine heldenhafte Präsenz während des Krieges in Südossetien. Er will deren Hauptstadt Zchinwali im Stalin-Stil wieder aufbauen. Und träumt von Ausstellungen in Kiew, Riga, Vilnius und Tallinn "nach der Befreiung".

"Das Verdeckte tritt an die Oberfläche", kommentierte der bekannte Moskauer Kunstkritiker Andrej Kowalew Beljaew-Gintowts Nominierung: "Die zunehmende Faschisierung der herrschenden Klasse ist offensichtlich. Das erinnert sehr an das Jahr 1933 in Deutschland."

Als Beljaew-Gintowts Werk vergangene Woche dann auch zum "Kunstprojekt des Jahres" erklärt wurde, kam es zum Eklat. Der Vorjahressieger Anatoli Osmolowski skandierte minutenlang "Schande!", der unterlegene Dmitri Gutow will seine Arbeiten nicht mehr für eine im Ausland geplante Preisträgerausstellung zur Verfügung stellen. Moskaus Kunstkritiker beurteilten die Entscheidung der Jury, drei Russen, drei Ausländer, sehr unterschiedlich, von "nichts dabei" bis "höchst problematisch".

Außergewöhnlich ruhig agiert indes der Sponsor in Deutschland. Auf die Frage, wie die Deutsche Bank auf die Verleihung an einen Künstler reagiere, der in seiner politischen Tätigkeit offen Faschistoides propagiere, meint Unternehmenssprecher Klaus Winkler, dass keinerlei Einfluss auf die Nominierung genommen werde: "Der Preis würdigt in erster Linie ein Werk und nicht die Person oder das gesamte künstlerische Schaffen von Beljaew-Gintowt." Immerhin hatte Friedhelm Hütte, der Bank-Vertreter in der Jury, laut russischen Medienberichten für den rechtsradikalen Künstler gestimmt. (Herwig G. Höller, DER STANDARD/Printausgabe, 17.12.2008)