Burgtheaterschauspieler Joachim Meyerhoff ruft im vierten Teil von "Alle Toten fliegen hoch" Erinnerungen an seinen Vater auf.

Foto: Werner

Wien - In einer Gesellschaft des Unauthentischen, überfüllt von unechten Leben und virtuellen Welten, bekommt das reale Leben neue Bedeutung. Der vor drei Jahren ans Burgtheater gerufene Schauspieler Joachim Meyerhoff spricht in seiner Erzähltheaterreihe Alle Toten fliegen hoch von sich und seiner Erinnerung an früher, an verstorbene Menschen. Der vierte Teil dieser klugen, freigiebigen, und bei allem "hot stuff" versöhnlichen Abende hat heute, 20.30 Uhr, Uraufführung im Burg-Vestibül. Im Zentrum von Theorie und Praxis, so der Titel, steht der Vater, ein Kinderpsychiater.

Standard: Wie greift man so detailliert auf Vergangenes zurück? Haben Sie als Teenie schon mitnotiert?

Meyerhoff: Nein, gar nicht. Aber das Zurückgreifen ist auch nicht wirklich mein Thema. Die Geschichte speist sich nicht aus gut recherchierten Momenten. Es geht eher um das, was jetzt da ist. Um einen Fluss von erinnerndem Erzählen.

Standard: Schreiben allein schon ist Erinnerungsarbeit. Die Bühnenrealisierung führt aber weiter.

Meyerhoff: Der Punkt ist, dass es die Texte nicht in gedruckter Form gibt. Sie existieren nur als mein eigenes Sprechen auf der Bühne. Sie bleiben also unabgeschlossen. Ich betrachte Erinnerung als offenes System, das beweglich ist. Dieses Spiel, das ich betreibe, ruft etwas immer wieder neu in Erinnerung.

Standard: Sie müssen also zwangsläufig immer selbst auf die Bühne?

Meyerhoff: Momentan zumindest ist es so. Ich schaffe es nicht, die Texte aus der Hand zu geben.

Standard: Am Ende des Projekts steht aber die Idee eines Buches.

Meyerhoff: Das ist eine Sehnsuchtsvorstellung, von der ich gar nicht weiß, wie sie aussehen könnte. Man kann die Serie nicht einfach zwischen Buchdeckel reihen.Alle Ungereimtheiten und Ungeschicklichkeiten würden wegfallen.

Standard: Sie gelten als Vielleser. Was lesen Sie mit Vorliebe?

Meyerhoff: Diesem Ruf laufe ich hinterher! (lacht) Ich sitze oft in meiner Wohnung und sage:Du bist doch der, der so viel liest! Im Alter zwischen 20 und 35 habe ich das auch, da war Lesen mein Zugang zur Welt. Das hat sich geändert, ich schaff nicht mehr so viel: Derzeit lese ich Uwe Tellkamp, möchte unbedingt auch Wassilij Grossmann und Christian Kracht lesen.

Standard: Also Belletristik?

Meyerhoff: Ja, aber auch Theoretisches. Ich möchte einordnen können, was ich da tue. Im aktuellen Teil von Alle Toten fliegen hoch geht es ja um meinen Vater, und (packt ein Buch nach dem anderen aus dem Rucksack) sehen Sie: Ich kaufe ein Segelboot, Orgeln in Schleswig-Holstein, Fleisch-Schweine, Die Jägerprüfung, Glück mit Gästen. Der historische Walfang der Nordfriesen ... Mein Vater hatte das ungeordnetste Bücherregal, das sich denken lässt. Er war jemand, der bei allem, was er tat, Bücher brauchte. Und selbst wenn meine Mutter sagte, wir feiern ihren 40. Geburtstag, dann hat sich mein Vater dafür ein Buch gekauft, das eben Glück mit Gästen hieß.

Standard: Diese Bücher haben Sie jetzt auch gelesen?

Meyerhoff: Ja, sie kommen im Stück auch vor. Die Buchdeckel bilden ein Panoptikum von Bildern, die mich geprägt haben. Hier (er nimmt das Jagd-Buch): "Herzschweiß" , ein erstaunliches Wort.

Standard: Man stößt ja bei Lektüren, denen man sich nicht von sich aus aussetzen würde, oft auf mehr als bei konkreter Suche.

Meyerhoff: Natürlich. Es ist genau das Gegenteil zur gezielten Suche mit dem Computer. Das abwegigste Thema kann eine enorme Bereicherung sein, weil es nur zwei Zentimeter im Regal daneben steht. Man ist so nicht das Opfer seiner eigenen Suchvorstellung.

Standard: Wie begreifen Sie Ihre Arbeit als Schauspieler?

Meyerhoff: Ich möchte keine Innenwelten beschwören. Ich empfinde das oft als schauspielerische Lüge. Bei Hamlet zum Beispiel ist das ja extrem. Seine Innenwelten sind so kompliziert, dass da niemand folgen kann. Da kommen große Sätze und dann macht man eine Pause, und dann sollen die Zuschauer nachdenken über das Geheimnis einer Figur, ach, das finde ich langweilig. Das Geheimnis entsteht vielleicht ganz woanders. Ich ringe um Deutlichkeit. Ich will wissen, warum ich etwas sage.

Standard: Sie sind zuletzt um Rollen umgefallen, u. a. um den "Faust" des erkrankten Jürgen Gosch.

Meyerhoff: Und auch um den Hamlet in Recklinghausen. Da ist der Hauptsponsor abgesprungen. Die Finanzkrise hat da zugegriffen.

Standard: Wie gehen Sie damit um, man bereitet sich auf solche Rollen doch intensiv vor, siehe "Faust" ?

Meyerhoff: Ich hänge weniger an der Rolle des Faust als an der Zusammenarbeit mit Jürgen Gosch.

Standard: Welche Wünsche haben Sie an die Ära Matthias Hartmann?

Meyerhoff: Viele. Ich glaube, dass das Burgtheater mit seinen immensen Möglichkeiten noch mehr leisten könnte im Bewusstsein dieser Stadt. Ich finde den Stil von Bachler sehr angenehm. Aber ich fände es auch angenehm, wenn noch mehr Unberechenbarkeit stattfände. Dass Regisseure noch mehr gebunden werden, was zum Teil bereits geglückt ist. Am meisten würde ich mir von Hartmann wünschen, dass es mehr Eigenverantwortung der Schauspieler in diesem gut bezahlten Beruf gibt.

Standard: Nationaltheater?

Meyerhoff: Dieser Begriff ist doch hohl. Man müsste dann hier in Wien auf jeden Fall auch türkische Stücke spielen.

(Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 17.12.2008)