Das dreidimensionale Bild vom neuronalen Netz des menschlichen Gehirns war bisher der Fantasie überlassen - und bezog sich kaum auf konkrete Daten.

Foto: Userlogos

Das Gehirn zählt zu jenen Organen des Menschen, die kurz nach der Geburt noch nicht völlig ausgereift sind. Babys haben an jeder Hirnzelle etwa 2500 Kontaktpunkte zu anderen Nervenzellen. Im Alter von drei Jahren sind sie aber bereits die Champions, was diese Links betrifft: 15.000 sind das absolute Maximum in der Entwicklung zum Erwachsenen.

Durch Lernprozesse und Erfahrungen werden einige Kontaktstellen, die nicht gebraucht werden, wieder zurückgebildet. Letztlich bleiben etwa 10.000 im erwachsenen Gehirn zurück. Das so gebildete Netz aus insgesamt hundert Milliarden untereinander verknüpften Nervenzellen und anderen Zellen kommuniziert mit der Außenwelt und reagiert auf deren Reize.

Neurobiologen am Center of Brain Science der Harvard University haben ein Forschungsprojekt initiiert, in dem die Funktionsweise des Gehirns in all diesen Entwicklungsschritten dargestellt werden soll. Jeff Lichtman, einer der US-Forscher in diesem Bereich (siehe Interview), erwartet sich Erkenntnisse darüber, wie sich das Gehirn des Kindes von jenem des Erwachsenen und des alternden Menschen unterscheidet. "Dass es sich unterscheidet, wissen wir ja bereits."

Kooperationspartner sind unter anderem Microsoft Research und das Wiener Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis). Die österreichischen Forscher erhielten den Auftrag, aus zweidimensionalen, mit bildgebenden Verfahren hergestellten Schichtbildern des Gehirns ein 3-D-Bild zu konstruieren, um den Verlauf der Nervenbahnen und ihre Verknüpfungen im "kompliziertesten Gebilde im gesamten Universum" (John J. Ratey über das Gehirn) zu veranschaulichen.

Bilder zusammensetzen

Derzeit arbeitet das Forschungsprojekt mit dem vielsagenden Namen "Connectome" am Mausmodell. Das Gehirn wird in hauchdünne Scheiben geschnitten und via Elektronenmikroskop aufgenommen. Die Einzelbilder werden daraufhin zusammengefügt, und zwar "auf zehn Nanometer genau", wie Werner Purgathofer, Professor an der TU Wien und wissenschaftlicher Leiter des VRVis-Zentrums, betont. Das Projekt wird im Rahmen des Programms FIT-IT des Infrastrukturministeriums über die Förderschiene "Visual Computing" kofinanziert.

Purgathofer verweist auf die Datenmenge, die bei der Arbeit am dreidimensionalen Bild des Mäusehirns anfällt. "Wir brauchen etwa zweihundert Terabyte Datenspeicher für einen Kubikmillimeter Gewebe." Ein Terabyte sind 1012 Byte oder 1000 Gigabyte.

Derzeit werden gerade Schichtbilder der Hypophyse einer Maus in dreidimensionale Bilder umgewandelt. "Das ergibt 1014 Voxel für einen halben Kubikmillimeter Mäusehirn." Voxel ist die Bezeichnung der Computergrafiker für einen Datenpunkt im Raum, die kleinste Informationseinheit bei räumlichen Daten.

Purgathofer: "Die entstehenden Bilder zeigen 100.000fache Vergrößerungen der Hirnzellen." Die Wissenschafter von VRVis erarbeiten in Wien das Modell und besprechen die Ergebnisse dann mit den Forschern vor Ort in Harvard, sagt die Projektmitarbeiterin Johanna Beyer. "Dabei müssen wir auch einiges lernen: Wie sollen die Bilder konkret ausschauen? Auf welche Details legen die Neurobiologen wert, um dann ihre Schlüsse ziehen zu können." Das Zentrum VRVis sei in diesem Fall ausschließlich Zulieferer eines Tools für die Forschung.

Das Projekt werde erfolgreich abgeschlossen, wenn die Wissenschafter in Harvard, an zweidimensionale Schichtbilder gewöhnt, mit diesem Werkzeug zufrieden sind und damit auch arbeiten können. Die Ziele der Wiener Forscher sind jedenfalls hochgesteckt, sagt Georg Rothwangl, Innovationsmanager des Zentrums: "Wir können das mit dem Luftbild einer Stadt vergleichen, auf dem man sieht, dass es auf verschiedenen Straßen unterschiedlich dichte Verkehrsströme gibt. Wir wollen Bilder liefern, mithilfe deren die Wissenschafter analysieren können, warum die Verkehrsströme so sind." Das Projekt läuft noch bis 31. August 2009. (Peter Illetschko /DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2008)