STANDARD: Bis jetzt hat man mit zweidimensionalen Bildern gearbeitet. Weshalb wird nun der Schritt zur 3-D-Aufnahme des Gehirns notwendig?

Lichtman: Wir wollen mehr über die Funktionsweise des Gehirns erfahren und glauben, dass das mit dreidimensionalen Bildern möglich ist. Nur so erkennen wir nämlich, wie die Nervenzellen verknüpft sind, weil sie übereinandergelagert sind und das durch Schichtbilder niemals so deutlich sichtbar wird.

STANDARD: Welche Ergebnisse erwarten Sie sich von dieser Forschungsarbeit?

Lichtman: Langfristig erwarten wir, die Unterschiede zwischen einem jungen, einem erwachsenen und einem alternden Gehirn zu sehen. Ich erwarte mir vor allem, dass wir erkennen, wie sich die Organe voneinander unterscheiden.

STANDARD: Derzeit arbeiten Sie ja am Mausmodell, die Forschung an 3-D-Bildern steht am Anfang. Wie lange dauert es Ihrer Einschätzung nach, bis Sie mit einem menschlichen Gehirn arbeiten werden?

Lichtman: Wir müssen noch einen weiten Weg gehen, um überhaupt zur 3-D-Landkarte des Mäusegehirns zu kommen. Wenn unsere Methoden und die der Kollegen von VRVis zum Ziel führen, wovon ich natürlich ausgehe, kann man das Modell sicher auch auf das Gehirn eines Verstorbenen anwenden.

STANDARD: Die Hirnforschung scheint in vielen Bereichen erst am Anfang zu stehen. Was genau weiß die Wissenschaft vom menschlichen Gehirn?

Lichtman: Der Job von uns Biologen ist es, die Intelligenz des Systems, das wir studieren, zu ergründen. Wir wissen beachtlich viel über chemische und elektrische Signale, die von Nervenzellen im Gehirn empfangen oder ausgesandt werden. Wir wissen allerdings ziemlich wenig darüber, wie Netze dieser Nervenzellen dank dieser Vorgänge untereinander Informationen auszutauschen. Diese Vorgänge sind noch weitgehend ungeklärt. Daher wissen Wissenschafter noch nicht wirklich, wie Milliarden von Zellen im menschlichen Gehirn arbeiten.

STANDARD: Das derzeitige Forschungsprojekt kann aber wohl nur ein kleiner Schritt sein, um zu diesem Wissen zu kommen?

Lichtman: Das ist sicher richtig. Dabei ist nicht einmal klar, ob wir jemals alle Vorgänge im Detail verstehen werden. Es gibt viele Dinge, die deutlich komplexer ablaufen, als wir denken können - und da- zu gehört vermutlich paradoxerweise auch unser eigenes Gehirn. Vielleicht haben wir ja einmal ei-ne ziemlich gute Beschreibung von dem, was in unseren Köpfen vor sich geht; ob wir ihre Bedeutung verstehen, erscheint aber fraglich. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2008)