Seit Jahrzehnten weigert sich der türkische Staat, die Massaker an der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich anzuerkennen und dafür Abbitte zu leisten. Im Internet haben nun türkische Intellektuelle eine Kampagne gestartet, die einer kleinen Revolution nahe kommt. „Ich entschuldige mich bei meinen armenischen Brüdern" ist ein Bekenntnis derjenigen, die sich der offiziellen Haltung schämen und endlich zu einem Gespräch mit den armenischen Nachbarn kommen wollen - und die bislang weitestgehende Aktion, um das Tabu, das die Türkei um den Genozid errichtet hat, zu Fall zu bringen.

Zwar wird in dem Aufruf nicht explizit von Genozid gesprochen, sondern von „der großen Katastrophe", dennoch zeigen die Initiatoren erheblichen Mut. Vor knapp zwei Jahren erst wurde der armenische Journalist Hrant Dink von Nationalisten ermordet, weil er genau die Debatte, die nun stattfindet, initiieren wollte. Doch das Klima hat sich seitdem doch enorm verändert. Die schlimmsten Anti-Armenien-Hetzer stehen derzeit in dem sogenannten Ergenekon-Prozess vor Gericht. Die Regierung will eine Normalisierung mit Armenien und verhält sich deshalb gegenüber der Entschuldigungs-Kampagne neutral.

Es wäre schön, wenn die armenische Seite und vor allem die armenische Diaspora auf die ausgestreckte Hand nun auch positiv reagieren würde und die Aktion nicht als billige Propaganda abtut. Wenn alles gut läuft, wird im kommenden Jahr wohl auch endlich die Grenze zwischen Armenien und der Türkei geöffnet. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2008)