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Richard Geoffroy: "Man kann der Bestimmung nicht entgehen, und als Bauer kommt man immer wieder auf das Land und auf seine Wurzeln zurück."

Foto: APA/dpa/Frank Rumpenhorst

Richard Geoffroy kommt aus einer Familie, die in der siebenten Generation im Champagner-Business ist, und beschloss, zuerst Medizin zu studieren, "einfach um einen Bruch zu machen". Aber die Anziehungskraft der Erde war stärker. Und so kam er nach einem Önologiediplom an der Universität von Reims wieder auf Wein und später in die Champagne zurück. "Atavismus", nennt er es lächelnd, "man kann der Bestimmung nicht entgehen, und als Bauer kommt man immer wieder auf das Land und auf seine Wurzeln zurück." Außerdem könne er "trotz großen Respekts für die Medizin" als Weinmacher einfach mehr beitragen denn als Arzt.

Nach einigen Jahren in der Neuen Welt (Kalifornien und Australien) stieg er in seiner Heimat bei Moet & Chandon ein, womit sich für Geoffroy wie er meint, "der Kreis schloss". Zum Traditionshaus gehört auch Dom Pérignon, seit Jean-Remy Moet 1794 das ehemalige Kloster Hautvillers kaufte, wo der Mönch Dom Pérignon die Herstellungsmethoden von Champagner entwickelte. Nach der Expansion über die Jahrhunderte schloss sich Moet & Chandon 1987 mit Louis Vuitton zum Luxusgüterkonzern LVMH (Louis Vuitton Moet Hennessy) zusammen, zu dem heute mehr als 60 Prestigemarken gehören.

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derStandard.at: Kellermeister bei Dom Pérignon klingt nach einem Traumjob - worin besteht Ihre Arbeit genau?

Geoffroy: Das Schöne daran ist, das es eine allumfassende Aufgabe ist. Es beginnt in den Weingärten, durchläuft den gesamten Herstellungsprozess im Keller. Ich bin nicht auf einen Aspekt des Weinmachens, also z.B. nur das Verschneiden beschränkt, sondern habe sozusagen die globale Übersicht. Ich empfinde das als Privileg. Dazu gehören auch die Präsentation und die Darstellung des Weins.

derStandard.at: Was ist damit gemeint?

Geoffroy: Es ist wie bei einem Regisseur. Ich kann den Wein nicht einfach nur so hinstellen. Ich muss ihn in ein Ambiente verpacken, in einen Zusammenhang setzen. Dazu gehören selbstverständlich auch viele Erklärungen, das ist einfach Teil eines alles integrierenden Prozesses.

derStandard.at: Ist "Präsentation" dafür das richtige Wort?

Geoffroy: Nein, es geht darüber hinaus. Die technisch-klinische Situation des Verkostens ist nicht das natürliche Ambiente. Dazu gehören auch Essen, Gesellschaft und die Möglichkeit, mit Freunden diese Erfahrung zu teilen.

derStandard.at: Für viele bedeutet Champagner feiern, etwas Besonderes zu zelebrieren, etwas an das man sich z.B. gern erinnert?

Geoffroy: Das ist ein Teil davon, aber nicht der einzige Aspekt von Champagner. Es ist ein sehr legitimer und sehr anerkannter, aber da ist noch mehr. Dazu gehören das Entdecken und Stimulieren der Sinne und dann teilt man die Freude daran. Teilen ist für mich die Essenz, der Kern beim Wein. Das sind die Grundlagen, und die stehen in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Das ist ein sehr weites Feld: Es kann bei einem guten Essen passieren, aber auch in vielen anderen Situationen. Aber es bedeutet jedenfalls viel mehr, als sich auf das Feiern mit Champagner zu beschränken. Man geht dabei über Grenzen, vor allem im Zusammenhang mit Essen. Ich mag es nicht, wenn Dinge zu vorhersehbar sind. Grenzen zu überschreiten ist wichtig.

Das Spezielle an Champagner

derStandard.at: Was ist so speziell an Champagner? Sie verwenden oft das Wort "Wein"?

Geoffroy: Aber gemeint ist natürlich Champagner, der aus dieser speziellen Region mit ihren Gegebenheiten kommt. Und natürlich spreche ich als Kellermeister von Dom Pérignon. Da ist einmal die genau limitierte Definition des Ursprungsgebietes. Denken Sie an die "chais", die auch schon vor zweihundert, dreihundert Jahren hier waren (Anm. Keller, von denen manche in Kreidehöhlen geschlagen wurden, die kathedralenhaft wirken). Es ist ein Abenteuer, das nach drei Jahrhunderten noch immer weiter läuft. Gleichzeitig umgibt Champagner auch etwas sehr Modernes. Wenn man ihn trinkt, ist man Teil dieses Abenteuers. Champagner war vor 100 Jahren modern, vor 50 und wird es auch in Zukunft sein.

derStandard.at: Worin besteht dieses Abenteuer? Es geht dabei also um Entdeckungen....

Geoffroy: Das Abenteuer findet auf verschiedenen Ebenen statt. Zuerst auf der persönlichen: Es ist eine Sinneserfahrung, die auf einem selbst wie ein Spiegel wirkt, eine innere Erfahrung. Und wenn man die mag, dann teilt man. Auch die intellektuelle Dimension des Champagners kann man nicht verleugnen, er sagt über den Intellekt genauso viel aus wie über die Geschmacksknospen. Champagner und Essen ist auch ein Abenteuer, dabei geht es häufig um eine Pionierleistung: Es gibt alle möglichen Regeln, Champagner nur zu weißem Fleisch etc. aber man sollte dabei ruhig nicht nur das Offensichtliche probieren. Manche französischen Weine sind außerhalb ihrer Umgebung und ihres kulturellen Zusammenhangs sehr seltsam. Aber Champagner passt in jedem Land. In einem Tempel in Kyoto, nach einer Teezeremonie - Champagner passte da ganz natürlich hinein.

derStandard.at: Was heißt, dass es nach 300 Jahren Entwicklung noch immer weiter geht? Was ist an Champagner noch innovativ? Ist das technisch zu sehen, sind es die Geschmäcker und Stile oder die Entdeckungen, welche Speisen noch alle dazu passen?

Geoffroy: Ein bisschen von allem. Ich kann zum Beispiel nicht sagen: Dom Pérignon hat jetzt diesen und jenen Status und das war's. Es gibt zwar ein Qualitätsniveau und hohe Ansprüche, aber gleichzeitig ist der Wein selbst nicht traditionell.

Stil und äußere Umstände

derStandard.at: Was bedeutet nicht traditionell?

Geoffroy: Intensität spielt dabei eine wichtige Rolle. Wir alle streben danach. Ich kenne keinen Weinmacher, keinen Spitzenkoch, für den Intensität kein Thema wäre. Die Intensität von Dom Pérignon kommt nicht aus der Kraft wie bei anderen Champagnern, und die auch ein Merkmal vieler traditioneller Stile ist, sondern aus der Präzision und der Ausgewogenheit. Er springt einem nie ins Gesicht, sondern ist immer sehr soft und weich, fein und delikat am Gaumen. Dabei geht es übrigens keinesfalls um "besser" oder "schlechter sein", das würde ich nie behaupten, sondern um Unterschiede im Stil.

derStandard.at: Wie ist das in den Weingärten. Gibt es da Unterschiede?

Geoffroy: Ich würde nicht sagen, dass es große Unterschiede im Handling der Weingärten gibt. Auf diesem Qualitätsniveau geht es mehr um Identität und um Charakter. Die Weingärten in der Champagne sind eben sehr speziell aufgrund ihrer Bodenzusammensetzung.

derStandard.at: Kommt Dom Pérignon immer aus denselben Weingärten?

Geoffroy: Es sind immer dieselben Weingärten in neun verschiedenen Dörfern. Dabei wird niemals der gesamte Output eines Weingartens verwendet. Das Beste je nach Vorstellung vom Stil des Jahrgangs wird ausgewählt und weiterverarbeitet. Essentiell ist die Feinadjustierung durch das Zusammenfügen von weißen und blauen Trauben. Das ist wie Ying und Yang.

derStandard.at: Dom Pérignon ist ein Jahrgangschampagner, d.h. die Trauben dürfen nur aus einem Jahr kommen...

Geoffroy: Es ist ständiger Balanceakt zwischen Stil des Champagners und dem Charakter des Jahrgangs. Viele sind erstaunt, wie klar unterscheidbar Jahrgänge sind. Wir sind dem Stil - bei Dom Pérignon die Ausgewogenheit - ebenso wie dem Jahrgang verpflichtet. Es ist natürlich leichter (Anm. wie bei Champagnern ohne Jahrgangsangabe) über die Jahrgänge zu verschneiden. Aber diese Einschränkungen, die durch den Jahrgang gegeben sind, bedeuten für mich eine Herausforderung, die in ein kreatives Element umgewandelt werden müssen und durch das ich Dom Pérignon auf ein höheres Level führen kann. Das zeichnet einen Spitzenwein aus und unterscheidet ihn von guten Weinen. Gute Weine sollten angesichts der modernen Technologien nicht mehr allzu schwierig zu machen sein. Es gibt eigentlich keine Entschuldigung dafür, dass immer noch schlechter Wein auf der Welt existiert.

Eine Frage der Phantasie - Champagner und Essen

derStandard.at: Viele glauben, dass Champagner auf Luxusspeisen wie Kaviar und dergleichen beschränkt ist ...

Geoffroy: Dabei spielt auch eine gewisse Geschmeidigkeit des Weines eine Rolle. Dom Pérignon 2000, mit dem ich viel probiert habe, kann man sowohl mit einem Carpaccio als auch mit stark gewürzten, scharfen Speisen kombinieren. Er wird nicht daran zerbrechen, wie etwas das weniger geschmeidig ist. Und er passt auch zu Schokolade.

derStandard.at: Champagner wird nicht als etwas angesehen, dass ein ganzes Menü begleiten kann. Wie groß ist da der Spielraum? Gerade Champagner und Schokolade...

Geoffroy: Ja klar, das ist ein Nono.

derStandard.at: Worin besteht also der Kick?

Geoffroy: Es geht darum, den richtigen Zugang zu finden. Jahrgang 1999 war ein ausladend angelegter, kein schwerer Champagner, sehr mineralisch mit erdigen Noten und der Salzigkeit des Meeres. Da war Toast, Torf und die Rauchigkeit von Torf und noch so einige Aromen die an alles erinnern, das brennt. Davon ausgehend nahmen wir mexikanische Mole, ein sehr altes traditionelles Rezept, das von den Azteken kommt. Darin sind 25 Zutaten enthalten, drei verschiedene Schokoladen, deren Bohnen auch gebrannt werden müssen, Chilis, Nüsse, getrocknete Früchte. Dom Pérignon hielt perfekt dagegen. Ebenso wie bei einem aromenreichen marokkanischen Gericht aus Auberginen mit Harissa (Anm. extra scharfe Gewürzpaste aus Chili, Kreuzkümmel, Koriandersamen, Knoblauch, Salz und Olivenöl), Knoblauch und Ingwer und Orangenblütenwasser.

derStandard.at: Wie ist das mit Champagner und Käse?

Geoffroy: Großartig. Brie de Meaux schmeckt hervorragend mit reifem Champagner, wie alles, das diese Art Rinde hat. Auch Hartkäse oder Ziegenkäse passen sehr gut. Blauschimmelkäse vor allem, wenn er von der Kuh ist, von der Ziege geht es nicht so gut. Cremiger Gorgonzola geht zum Beispiel sehr gut.

derStandard.at: Welche Kombination hat sie am meisten überrascht?

Geoffroy: Die mit Mole. Und da war auch einmal ein Couscous aus Taube ...

Bio-Champagner und warum England

derStandard.at: Die Rebflächen, auf denen Trauben für Champagner hergestellt werden dürfen, sollen ausgeweitet werden?

Geoffroy: Dom Pérignon ist nicht betroffen, daher habe ich als Chef de Cave des Hauses dazu auch nichts zu sagen.....

derStandard.at: Nun zu etwas ganz anderem. Was sagen Sie zumTrend zu Bio in der Champagner. Das Klima scheint ja etwas schwierig dafür....

Geoffroy: Es ist sogar mehr als schwierig, ich halte es fast für unmöglich. Man kann in die Richtung gehen, aber dort Bio-Weinbau zu 100 Prozent gefährdet die Ernte, eben wegen dieses Klimas. Die Leute sollten damit ehrlicher umgehen. Das Ziel ist, Schritt für Schritt dorthin zu kommen, aber ich glaube, wir haben noch nicht die Technologie um es zu 100 Prozent zu machen. Wir müssen etwas finden, um die Rebstöcke zu immunisieren. Ich kann nicht auf obskure Methoden aus der Vergangenheit zurückgreifen. Aber ich komme aus der Medizin und die Selbstimmunisierung der Rebstöcke wäre die Antwort. Natürlich muss es ein Ziel sein, Pestizide etc zurückzuschrauben. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir so weit am Rand liegen, dass es vom Klima her extrem schwierig ist.

derStandard.at: Angesichts der globalen Erwärmung liest man immer wieder, dass Champagnerhäuser nach Flächen in Großbritannien suchen?

Geoffroy: Das wäre aber kein Champagner mehr. Wir machen Champagner auf den Rebflächen der Champagne, die genau definiert sind. Wir hatten Jahre wie 2003, (Anm. sehr heiß in ganz Europa) und das ist meiner Meinung nach einer der größten Jahrgänge überhaupt. Die Klimaentwicklung ist einfach nur eine weitere Herausforderung, der man sich stellen muss. Weinmachen mit hohem Anspruch bedeutet eben nicht, dass man das, was man in einem Jahr macht, eins zu eins im Nächsten kopieren kann. (Luzia Schrampf, derStandard.at, 17.12.2008)