Buenos Aires  - Die argentinische Justiz hat in einer umstrittenen Entscheidung die Entlassung von etwa 20 ehemaligen Folterern und anderer wegen Verbrechen während der Militärdiktatur (1976-1983) Angeklagter aus der Untersuchungshaft angeordnet. Die Entscheidung löste empörte Reaktionen von Opferverbänden aus, und Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner sprach von einem "Tag der Scham für die Argentinier, die Menschheit und unser Justizsystem".

Der nationale Kassationsgerichtshof für Strafsachen in der Hauptstadt Buenos Aires begründete seine Entscheidung am Donnerstag mit dem Ablauf der maximal dreijährigen Frist, die ein Angeklagter vor seiner rechtskräftigen Verurteilung in Haft gehalten werden dürfe. Die Staatsanwaltschaft kündigte Rechtsmittel gegen die Entscheidung an.

Fernández de Kirchner, die bei einer Veranstaltung in dem zu einer Gedenkstätte umgewandelten früheren Folterzentrum ESMA in Buenos Aires von der Nachricht überrascht wurde, bezeichnete die Entscheidung als "pervers". "Ich hoffe, dass die Justiz dies unter Wahrung der Ehre und Würde der Argentinier korrigiert", sagte die Staatschefin.

Höchstrichter: "Schuld des Parlaments"

Der Richter am Obersten Gerichtshof, Carlos Fayt, wies die Kritik jedoch in einem Interview mit Radio Mitre zurück. "Es ist nicht unsere Schuld, sondern die des Parlaments, das es versäumt hat, das Prozessrecht so anzupassen, dass die 800 blockierten Strafverfahren fortgesetzt werden können." Die Zahl der Strafprozesse wegen Verbrechen während der Militärdiktatur waren durch die unter Fernández de Kirchners Vorgänger Néstor Kirchner aufgehobene Amnestie drastisch in die Höhe geschnellt. Schon im vergangenen Jahr hatte die Regierung die Justiz jedoch wegen der langsamen Verfahren kritisiert.

Die Aufhebung der Haftbefehle unter anderem gegen den Ex-Militär Alfredo Astiz, dem sogenannten Todesengel, sowie gegen Jorge Acosta alias "El Tigre", stieß auch auf scharfen Protest von Opferverbänden. Viele Richter, vor allem am Kassationsgerichtshof, seien Komplizen der Täter, sagte Nora Cortiñas, die Präsidentin der Mütter vom Maiplatz, einer Vereinigung von Eltern während der Diktatur verschwundener und ermordeter Regimegegner. Laut Schätzungen von Menschenrechtsgruppen brachten die Militärs landesweit etwa 30.000 Menschen um.

Die zwölf Angeklagten kommen jedoch nach Angaben der Justiz nicht sofort frei, weil der zuständige Richter erst noch die Auflagen festlegen und eine Entscheidung über die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft abgewartet werden müsse. Am bekanntesten unter den Angeklagten ist Astiz. Er war an der Entführung und dem Verschwinden der französischen Nonnen Alice Domon und Léonie Duquet beteiligt, wofür er in Frankreich in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. (APA/dpa)