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Auch wenn die Unterhaltung mit meiner Timelkamer Großmutter einseitig verlief, musste ich mehrmals laut lachen, was andere Friedhofsbesucher gar nicht lustig fanden. Mir war das egal, weil ich mich an die Fernsehsamstage Mitte der 60er-Jahre erinnerte, als sich in der Küche meiner Oma regelmäßig die gesamte Verwandtschaft versammelte, um sich Hans-Joachim Kulenkampffs Quizsendung Einer wird gewinnen anzusehen. Dabei ging es immer hoch her: Es wurde viel gegessen, viel getrunken und viel geraucht, die Männer spielten Karten, die Kinder machten Blödsinn, und die Frauen versuchten, sich über dieses und jenes zu unterhalten, was aber selten gelang, weil entweder beim Schnapsen ein gröberes Problem aufgetaucht war oder ein Kind ein Kracherl über den Teppich geschüttet hatte. Von Kulenkampff war in dieser Situation oft wenig zu hören, und als einmal ein besonderer Tumult herrschte, sprach meine Großmutter ein Machtwort: "Um Gottes willen, was wird sich denn der Kulenkampff denken, wenn es bei uns so zugeht!"

Mir leuchtet diese Logik ein, denn auch ich vergesse oft, dass das Fernsehen ein Medium der Einwegkommunikation ist. Als ich beispielsweise vor Jahren einmal beim Pinkeln auf der Toilette des MK-Clubs in New York neben Charlie Sheen stand, grüßte ich ihn mit einem freundlichen "Hi, Charlie, how are you?" , bis ich an seinem Gesichtsausdruck merkte, dass er - logischerweise - keine Ahnung hatte, wer ich war. Dabei hatte ich ihn bereits dutzende Male im Film gesehen.

Aber zurück zu meiner Großmutter, deren - scheinbare - Naivität mich oft verblüffte. Einmal hatte ihr der Arzt, da war sie bereits über achtzig, irgendwelche Tabletten verschrieben. Auf meine Frage, wogegen die wären, antwortete sie: "Gegen Depressionen. Dabei weiß ich gar nicht, was Depressionen sind."

Jetzt, vor Weihnachten, wird auch wieder fleißig für Tabletten geworben, und zwar unter dem fadenscheinigen Motto: "Schenken Sie Gesundheit." Wenn Sie mich fragen: Schenken Sie keine Tabletten, schenken Sie lieber Trost. Der ist gratis, aber nicht umsonst. Wenn Ihnen zu Weihnachten aber fad sein sollte, lösen Sie ein Kreuzworträtsel, und denken Sie daran, dass am 21. Dezember 1913, also vor 95 Jahren, in der Wochenendbeilage der Zeitung New York World the first Kreuzworträtsel ever erschien. (Kurt Palm, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.12.2008)