An Ästhetik und Wirkung des Lion-Feuchtwanger-Romans Erfolg lässt sich wie durch ein Brennglas studieren, was der "moderne" Gesellschafts- und Tendenzroman ehedem zu leisten imstande war. Der Begriff Erfolg, auf die figurenreich zur Darstellung gebrachte Münchner Honoratioren-Gesellschaft der frühen 1920er-Jahre gemünzt, meint zunächst nur: Man sollte Verhältnisse, die man rechtens nicht anders als rückständig bezeichnen kann, in ihrer wahren Bedeutung keineswegs verkennen.

Der ingeniöse Satiriker Feuchtwanger, dessen Todestag sich heuer zum 50. Mal jährt, liebte das Land, das er mit unerbittlicher Schärfe geißelte. Bei den Münchnern, die in ihren Weinstuben und Herrenklubs den Radi in dünne Streifen schneiden, ehe sie ihn genussvoll verzehren, "fehlt sich nichts". Wer die Machenschaften der im Halbdunkel der Semi-Prominenz agierenden Strippenzieher stört, ist ein "Schlawiner" - wie der Bayer denkt, so isst er eben.

Das Heraufziehen einer städtischen Bohème-Kultur zeigt unübersehbar den Untergang des bäuerlichen Regionalismus an. So beschaulich selbstbewusst, so stiernackig honett und anmaßlich bescheiden, wie es einmal war, wird es unter dem Druck des Nazi-Pöbels auf der Straße (der Partei der "wahren Deutschen" ) niemals mehr sein können.

Doch die Protagonisten eines Erfolgs, der sich in der eifersüchtigen Beibehaltung überkommener Privilegien am nachhaltigsten ausprägt, sind von kolossaler Reizbarkeit: Sie verdonnern einen Museumsdirektor, der über einen angeblichen Meineid stolpert, in den Augen der Besitzstandswahrer aber die Verkommenheit der Moderne symbolisiert, zu unverdientem Kerker. Freunde und Sympathisanten des "Mannes Krüger" stemmen sich gegen das Mahlwerk einer Justiz, die alle sittlichen Erwägungen und Skrupel gleicherweise zu Tendenzstaub verschrotet.

Der Kunsthistoriker Krüger wird aus dem Kokon seiner Leichtlebigkeit herausgerissen, um für die reizbare Unduldsamkeit seiner Mitbajuwaren zu büßen. Niemand der politisch Beteiligten nimmt persönlich Anstoß an ihm. Aber er unterliegt dennoch der Zögerlichkeit eines auf Hinhaltung angelegten, auf Gemeinheiten und Eitelkeiten gegründeten Verwaltungssystems, das - wenn auch aus taktischen Erwägungen - eifrig mit den Hakenkreuzlern paktiert.

Wetterleuchten der Gefahr

Wer sehen wollte, konnte das Heraufziehen der faschistischen Gefahr bereits in den 1920ern in aller unmissverständlichen Deutlichkeit wahrnehmen. Feuchtwanger malte al fresco. Immerhin passierte die böse Farce des Münchner Hitler-Putsches nur ganz wenige Jahre vor der Niederschrift von Erfolg. Dieses "negative" Heimatbuch einer beklemmenden Entgeisterung ist aber selbst nur das Produkt einer Moderne, mit deren fintenreicher Abwehr sich ein ganzes Heer von Ministern, Beamten, Chargen, Dachshunden, Bühnenkomikern und Kfz-Ingenieuren abmüht.

Feuchtwanger, der Historiograf einer an ihren inneren Widersprüchen elend zerbrechenden Gesellschaft, gelingt etwas wahrhaft Verblüffendes: Er verdeutlicht die wechselseitige Bedingtheit von ökonomischem Elend und hochtönender Ideologie, ohne doch jemals so zu tun, als wären die Figuren bloß Marionetten an den unsichtbaren Fäden einer vollmundig postulierten "geschichtlichen Notwendigkeit" . Er achtet den Einzelfall - und vergisst darüber nicht auf den Zusammenhang. Er blickt beinahe liebevoll auf seine aufbrausenden Quadratschädel, räumt ihnen aber bereitwillig das Recht auf Reflexion und, gegebenenfalls, Revision ihrer Entscheidungen ein. Der Erfolgs-Autor war eben ein ingeniöser Menschenfresserkenner. (Ronald Pohl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.12.2008)


Lion Feuchtwanger, "Erfolg" . Roman. € 12,95/880 Seiten. Aufbau, Berlin 2008.