Die Grünen wollen das "Ausländerproblem" realistischer angehen. Gut so. Aber die gesamte österreichische Öffentlichkeit muss das "Ausländerproblem" realistischer angehen. Und sei es aus dem einzigen Grund, weil dieses "Ausländerproblem" für viele Jung-und Erstwähler diesmal der Hauptgrund war, der Strache-FPÖ die Stimme zu geben.

Diese Woche überfielen ein paar aggressive, arbeitslose Jugendliche aus nichtigem Anlass eine Mittelschulklasse und schlugen einen mutigen Lehrer blutig. Zunächst erwähnte nur die Boulevard-Presse, dass es sich um türkische Jugendliche handelte. Das ist problematisch, weil damit kaum noch unterschwellig Ausländerangst und Ausländerhass angeheizt wurden. Aber die seriösen Zeitungen (darunter der Standard) die diesen Hintergrund zunächst nicht erwähnten, ließen damit eine wichtige Information weg, die man allerdings entsprechend aufbereiten und in den richtigen Zusammenhang hätte stellen müssen.

Es ist ein Faktum, dass Banden "ausländischer Jugendlicher" in gewissen Bezirken Wiens und anderswo aggressiv und bedrohlich auftreten; es ist aber genauso Faktum, dass die österreichische Politik sich so verhält, als wollte sie ein ausländisches Subproletariat heranziehen. Der 17-jährige Süleyman, der die Schulklasse mit seinen Freunden angriff, war arbeitslos und hatte mit Sicherheit keine ordentliche Schulbildung. Das ist keine Entschuldigung. Es ist auch keine Entschuldigung, dass er so wie viele andere höchstwahrscheinlich aus einem "bildungsfernen" Milieu kommt, mit einer patriarchalischen Macho-Kultur, wo Hindreschen als einzige richtige Verhaltensweise gesehen wird.

Es ist aber das Ergebnis einer Politik, die sich nicht darum gekümmert hat, was mit den Kindern der Gastarbeiter in zweiter oder dritter Generation passiert. Überspitzt formuliert: Die Burschen werden arbeitslose Bandenschläger, die Mädchen verschwinden in Zwangsehen. In einem der reichsten Staaten Europas entsteht eine perspektivlose Schicht von jungen Leuten. Man kann sich ausrechnen, wohin das in wenigen Jahren führt.

Die Politik ist in letzter Zeit ein bisschen aufgewacht, aber nur halb (verpflichtendes "Vorschuljahr" im Kindergarten). Außerdem ist ein breiterer Realismusprozess notwendig: Die "echten Österreicher" müssen so realistisch sein, anzuerkennen, dass die "Ausländer", vor allem die als besonders fremd empfundenen Türken, nicht mehr weggehen werden. Liberal denkende Menschen, wie eben die Grünen, müssen so realistisch sein, anzuerkennen, dass wir jetzt ein paar hunderttausend Menschen aus einem autoritären, patriarchalischen und, jawohl, rückständigen Lebenskreis bei uns haben. Die sind zwar schon Opfer - aber auch ihres bisherigen Unvermögens, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Die Politik muss ein Angebot zu besserer Bildung etc. machen - aber es muss auch die Bereitschaft steigen, es anzunehmen.

Der 17-jährige Süleyman wird vielleicht noch eine Chance bekommen. Die Mittelschüler, die er und seine Freunde angegriffen haben, müssen sie bekommen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.12.2008)