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Die US-Finanzbranche baute heuer bereits 220.000 Jobs ab. Allein bei Lehman Brothers verloren 26.000 ihren Job.

Foto: Reuters/Winning

Wer kann, wechselt den Job, fängt von vorne an und lernt erst wieder Lebensläufe zu schreiben.

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Larry Ford trägt Krawatte, feinen Zwirn und schwarze Schuhe, auf Hochglanz poliert. Manchmal trägt er auch ein Kettchen aus Yakknochenteilen am Hals und dazu in der Hand eine exotische Trommel. Wer Glück hat, bekommt ihn an der Wall Street zu Gesicht, direkt vorm majestätischen Säulenportal der New Yorker Börse. Dort steht Ford manchmal und bläst in ein Horn, womit er in Konkurrenz steht zu einem buddhistischen Mönch, der ebenso ausdauernd wie monoton die Trommel schlägt.

Im Hauptberuf ist Larry Ford Finanzberater, gut situiert, ein repräsentativer Vertreter seiner Branche. Zwei Segelboote, zwei Autos, beide von Daimler, ein Swimmingpool hinterm Haus. Vor drei Jahren, auf einer Reise nach Nepal, entdeckte er seine Neigung fürs Spirituelle. Daraus wurde ein Nebenberuf, einer der lukrativeren Sorte. Während sich der Finanzberater Ford Sorgen macht, hat der Schamane Ford Hochkonjunktur. Verunsicherte New Yorker, ratlos wegen der Talfahrt an den Aktienmärkten, verzweifelt wegen ihrer Pensionsfonds, die fast die Hälfte ihres Wertes eingebüßt haben, bestellen ihn zu sich nach Hause. Er soll Kräuter verbrennen, Beschwörungen singen, Seelen trösten.

220.000 Jobs gingen verloren

Die Wall Street leidet, Manhattan bekommt die Folgen zu spüren. Die Finanzindustrie hat heuer 220.000 Jobs abgebaut, die meisten seit Oktober. Die Citigroup kündigte 52.000 Entlassungen an, die Bank of America 35.000. Bei Lehman Brothers und Bear Stearns, den beiden Pleitehäusern, waren 26.000 beziehungsweise 14.000 Menschen beschäftigt.

Nicht nur New York ist von dem Aderlass betroffen, auch die City of London und andere globale Drehscheiben. Aber allein New York, schätzt man, hat im turbulenten Herbst etwa 160.000 Arbeitsplätze verloren, sowohl in der Geldsparte als auch in deren Umfeld. Und da die Wall Street ein Viertel aller Steuern der Metropole zahlt, klafft in der Stadtkasse ein gewaltiges Loch. Bürgermeister Michael Bloomberg beziffert das Defizit für 2009 auf zwei Milliarden Dollar.
Neben den Zahlen sind es die kleinen Anekdoten aus dem Luxusleben der Hautevolee, die anschaulich von der Baisse erzählen. Bei Christie's wollten Richard Fuld, einst Lehman-Chef, und seine Frau Kathy neulich 16 wertvolle Zeichnungen unter den Hammer bringen. Darunter Werke von Roy Lichtenstein, der neben Andy Warhol der berühmteste amerikanische Pop-Art-Künstler war.

Lange Gesichter

Das Auktionshaus hatte den Fulds 20 Mio. Dollar Erlös fest garantiert, selbst die niedrigste Vorab-Kalkulation hatte noch höher gelegen. Es gab lange Gesichter, weil man nur 13 Millionen kassierte. Oder Joe Gregory, früher Fulds rechte Hand. In der Blütezeit besaß er fünf teure Immobilien: einen Hauptsitz in Lloyd Harbor im Speckgürtel New Yorks, eine Ferienvilla in den Hamptons, wo die Reichen und Schönen den schwülheißen Sommer überstehen, ein Skidomizil in Vermont, ein Appartement an der glitzernden Park Avenue, schließlich ein Häuschen für den studierenden Sohn in Pennsylvania. Jetzt trennt sich der Pleitebanker nach und nach von seinem Besitz. Die Wohnung an der Park Avenue hat er bereits verkauft, wie auch den Hubschrauber, mit dem er zur Arbeit flog. Das Anwesen in den Hamptons, das er vor gut einem Jahr für 33 Mio. Dollar erstand, wartet noch auf zahlungskräftige Interessenten. In New York ist es Stadtgespräch.

Hochkonjunktur hat auch Robert Hellmann. Im Juli kündigte er bei American Express, einer Kreditkartenfirma. "Just in time" , sagt er schmunzelnd, gerade rechtzeitig vor der Talfahrt. Der 46-Jährige hat umgesattelt, heute ist er Personalberater, Krisenberater. Er betreibt eine eigene Agentur und berät den Five O'Clock Club, eine Art Netzwerk, das Karrieren fördern oder sie vor dem Knick retten soll. In Midtown-Manhattan hilft Hellmann entlassenen Börsenbrokern, wieder auf die Beine zu kommen.

Anonym erzählt er von einem typischen Fall. Eine Frau, die 15 Jahre lang bei einer großen Investmentbank angestellt war, zuletzt im mittleren Management. Sie wusste nicht mehr, wie man sich heutzutage bewirbt, wie man einen Lebenslauf schreibt, so sicher fühlte sie sich. Hellmann legte ihr einen Berufswechsel ans Herz. Die Arzneimittelbranche suche gute Leute, und sie habe die wichtigste Qualifikation. Sie besitze die Fähigkeit, langfristige Geschäftsbeziehungen zu Kunden aufzubauen. Also, in Zukunft seien ihre Kunden eben Ärzte und keine Anleger - "wo ist das Problem?" So hat Hellmann der Arbeitslosen Mut eingeflößt und ihr eines dringend empfohlen: "Werfen Sie bloß dieses Bankerlatein über Bord. Wenn Sie vor einem Personalchef sitzen und der immer nur 'Banker, Banker, Banker' hört, dann denkt er, dass Sie sonst nichts können. Und dann nimmt er Sie nicht." (Frank Herrmann aus New York, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.12.2008)