
In seinem vierten Roman, "Ich und Kaminski", beschreibt Daniel Kehlmann auf äußerst vergnügliche Weise das gestörte Verhältnis der Journalisten zur Kunst. Am Mittwoch Abend präsentierte er das Buch in der Nationalbibliothek in Wien. Vorher sprach er mit Cornelia Niedermeier über das Schreiben, den Stil und Tolstoi.
Wien - Mit nunmehr "leider schon 28" Jahren legt Daniel Kehlmann mit "Ich und Kaminski" seinen vierten Roman vor. Drei davon veröffentlichte er, nach Anfängen im Deuticke Verlag, bei Suhrkamp. Seine Bücher, denen der hierzulande allgegenwärtige Bewältigungsnotstand als kreatives Movens fehlt, zeichnet eine geradezu angelsächsische Lust am Story-Telling aus, am geschliffenen Satz. In der österreichischen Literaturszene stehen sie ebenso elegant wie fremd. Auch "Ich und Kaminski" schleppt keine schwere Botschaft im Gepäck. Sondern erkundet äußerst eloquent die Begegnung eines großen Malers mit seinem wenig begnadeten Biografen.
STANDARD: Ihr neuer Roman, "Ich und Kaminski", ist nicht zuletzt eine Abrechnung mit unfähigen Journalisten. Welche Frage würde ein Journalist wie Zöllner, Ihr Protagonist, jetzt an Sie stellen?
Kehlmann: "Wie viel verdienen Sie eigentlich?" - Sie wären überrascht, wie oft diese Frage kommt - und "Schreiben Sie eigentlich autobiografisch?". An sich eine durchaus sinnvolle Frage, die aber am liebsten gestellt wird von Interviewern, die mich nicht kennen und meine Bücher nicht gelesen haben.
STANDARD: Und welche Frage sollte er Ihnen stellen?
Kehlmann: Alle Fragen, die mit Stil zu tun haben. Stil ist das, worüber Autoren am meisten zu reden hätten und worüber sie nie gefragt werden. Das geht so weit, dass Don DeLillo einmal gesagt hat, Stil kann man definieren als das, was Journalisten nicht bemerken.
STANDARD: Wobei er in "Ich und Kaminski" kaum zu überlesen ist. Kurze, fast nebensatzlose Sätze von großer Eleganz.
Kehlmann: Die Frage ist ja immer: Welcher Tonfall eignet sich für diese Geschichte? Ein Buch besteht aus Sätzen. Alles an einem Buch, sein Atem, alles, was man als Atmosphäre empfindet - das alles ist Stil. Das Hauptproblem des Tonfalls bei Ich und Kaminski war, dass das Buch erzählt wird von jemandem, von dem man jeden Grund hat, anzunehmen, dass er nicht schreiben kann. Gleichzeitig muss es aber ein gut geschriebenes Buch sein. Das ist natürlich bereits der erste Schritt weg vom Realismus. Márquez hat einmal gesagt, das Wichtige bei der Satz-zu-Satz-Arbeit ist, dass der Leser nie aufwacht, um solche Fragen zu stellen.
STANDARD: Zöllner, ein freier Kunstkritiker, erzählt von seiner Arbeit an der Biografie über den Maler Kaminski.
Kehlmann: Auch er hat keine Ahnung von Stil. Kann malerische Intentionen, kann Malerei im weitesten Sinn nicht verstehen - was von Anfang an ein problematischer Ansatz ist für die Zusammenarbeit der beiden. Es gibt im ganzen Buch ein Bild, das Zöllner gefällt: der in seinem Hotelzimmer hängende sensende Bauer. Deprimierender Alpenlandkitsch. Aber ich behaupte einmal, wenn man mit einigen führenden Kunstkritikern Lügendetektortests machen würde, käme man darauf, dass diese Dinge ihnen besser gefallen, als manche Bilder, die sie hymnisch besprechen.
STANDARD: ... eine Frage der Wahrnehmung ...
Kehlmann: ... und der Selbstwahrnehmung - die ja eines der Hauptthemen des ganzen Buches ist. Zöllner nimmt sich selbst falsch wahr - von Anfang an. Deshalb ist er auch eine komische Figur. Und Kaminski, der ein ganz anderes Reflexionsniveau hat, hat dieses Problem in seiner Arbeit verhandelt. Seine frühen Bilder haben ja Spiegel dargestellt.
STANDARD: Ein Zusammenhang, der sich erst auf den zweiten Blick erschließt.
Kehlmann: Ein Roman, wie ich ihn verstehe - und ihn schreiben möchte -, muss dieses musikalische Element im Aufbau haben, dass er eine gewisse Anzahl von Motiven, abstrakte wie konkrete, aufnimmt und bearbeitet. Das muss man als Leser gar nicht bewusst merken. Das ist so ähnlich wie in der Musik bei der Sonaten^hauptsatzform. Das ist eine ungeheuer komplizierte Form. Aber man muss sie nicht verstehen. Wir haben das Gefühl, dass man sie unmittelbar empfinden kann. Für dieses unmittelbare Empfinden aber braucht es sehr viel Struktur und sehr viel Überlegung. Mit reinem Gefühl macht man keine Kunst. Kunst ist strukturiertes Gefühl.
STANDARD: Die Faszination für Strukturen, für rationale Systeme - und das ihnen innewohnende irrationale Element - steht ja auch inhaltlich im Zentrum Ihrer Bücher. Der Protagonist Ihres ersten Romans, Beerholm, ist ein Zauberer, den die Magie der Zahl reizt. Mahler, der Protagonist des zweiten, ein Physiker, der dem Phänomen der Zeit auf die Spur kommen will. Eine fast aufklärerische Begeisterung für die menschliche Vernunft - allerdings ihr Scheitern inbegriffen.
Kehlmann: Das 18. Jahrhundert war tatsächlich immer sehr wichtig für mich, vor allem die Philosophie. Dieser 18.-Jahrhundert-Aspekt: nicht unbedingt ein Buch zu schreiben, um darin eine Idee zu behaupten, sondern ein Buch zu schreiben, in dessen Mittelpunkt eine Idee steht, die darin sinnlich gemacht wird, die zum Motor der Geschichte wird. Allerdings nicht, um etwas zu behaupten. Meine Bücher behaupten nichts. Das wäre ein schrecklicher Gedanke.
STANDARD: In "Ich und Kaminski" wird aber auch der Einfluss der amerikanischen Literatur stark spürbar.
Kehlmann: Ja, diesmal war vor allem eine gewisse Art Dramenliteratur sehr wichtig für mich. Für die Dialoge. Dialoge waren bei mir bisher nie das, was Szenen getragen hat. Da hat mir der großartige Neil Simon viel geholfen.
STANDARD: Die beste Voraussetzung, um demnächst den großen figurenreichen Roman zu schreiben .
Kehlmann: Ich habe natürlich schon oft an so etwas gedacht - wie bei "Die Korrekturen" von Jonathan Franzen, wo fünf vollkommen gleichberechtigte Figuren und eine Unzahl Nebenfiguren gehandhabt werden. Oder: Der Extremfall ist immer noch Krieg und Frieden mit der unübertroffenen Zahl von ungefähr vierzig gleichberechtigten Hauptfiguren - das ist große Literatur. Aber ich kann es noch nicht. Das ist etwas, wo man sich sehr vorsichtig und sehr kontrolliert hinarbeiten muss. Ein langer Weg. Im Grunde ist das die Königsdisziplin. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2003)