Harte Weihnachten für die Cosa-Nostra-Familien in und um Palermo. Fast hundert ihrer Mitglieder sind in der vergangenen Woche verhaftet worden. Einer der Bosse, Gaetano Lo Presti, hat sich in seiner Zelle mit dem Ledergürtel erhängt. Keine katholische Performance.
Denn die Theologie der Mafia-Familien kennt den Selbstmord nicht. Man hat auf das Urteil Gottes zu warten. Er und nur er ist jener Richter, vor dem sich die Mitglieder der Mafia zu verantworten haben. Da man auf seine Gerechtigkeit hofft, enden die Prozesse vor dem obersten Gericht mit Freispruch. Anders als das Verdikt der von der Staatsmacht bestochenen irdischen Richter.
Im eben bei Droemer erschienenen Buch „Mafia" der deutschen, in Venedig lebenden Journalistin Petra Reski, wird in Gesprächen mit Mafiosi, deren Frauen und mit Priestern geschildert, wie sie die göttliche Ordnung verstehen.

Wissen Sie, die Justiz kann uns nicht verbieten, selbst einen Mafioso zu seinem Seelenheil zu führen. Wir dürfen niemand die Sakramente verweigern.
Also sprach der junge Priester von Corleone. Und die Frau des 2006 festgenommenen Mafiabosses Bernardo Provenzano sagte einem Journalisten:
Ich erkenne nur die göttliche Gerechtigkeit an. An Gerechtigkeit auf Erden glaube ich nicht mehr. Nur Gott weiß alles und sieht alles.
Reski hat in ihren Interviews immer wieder jene Gebote herausgefunden, an die Mafiosi glauben. Du sollst nicht ehebrechen ist eines von ihnen. Du sollst nicht töten, kommt nicht vor. Zur Rechtfertigung von Ermordungen gibt es Zeugnisse wie dieses: Da Gott ihn noch nicht zu sich genommen hat, habe ich ihn zu ihm geschickt.
Der Vatikan schweigt zu dieser Theologie, der viele jener Priester entschuldigend zustimmen, obwohl sie (oder weil sie?) von regionalen Bischöfen in ihr Amt gerufen werden. Da und dort gibt es die Anti-Mafia-Pfarrer. Und selbst der Wojtyla-Papst hat die Mafia verurteilt. Aber eben als Syndikat des Verbrechens und nicht als ein religiös begründetes Lebensmodell. Ein offizielles Dokument Roms gibt es dazu nicht.

Die deutsche Journalistin Magdalena Krol hat darüber mit Padre Nino Fasullo, dem Chef der Monatszeitschrift Segno gesprochen. Der Angehörige des Ordens der Redemptoristen sagt, dass die Kirche bis in die 90er-Jahre, als die Anti-Mafia-Bewegung vom damaligen Bürgermeister (und seit kurzem Mafia-Buchautor) von Palermo, Leoluca Orlando, angetrieben wurde, die Syndikate überhaupt ignoriert habe.
Als die Mafia dann die Richter Falcone und Borsellino ermordete, scheiterte die Bewegung an der Angst der Sizilianer. Seither gebe es zwar immer wieder Verhaftungen und Verurteilungen, aber die Kirche engagiere sich nicht. Bereits in der Ausbildung der Priester fehle das Thema Mafia. Viel zu viele Priester kämen aus Mafia-Familien. Der tradierte Gehorsam innerhalb der Familien und das „Misstrauen gegenüber dem Staat" seien weitere Aspekte.
Kann sich etwas ändern? Nur schwer, weil tatenlos im Hintergrund die „weißen Krägen" stünden, die Exponenten der „besseren Gesellschaft". Vor allem Politiker, die Anti-Mafia-Gesetze laufend entschärfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2008)