Liedermacher Ernst Molden über Weihnachten: "Die Kurzatmigkeit der Vorfreude - und dann bekommt man eine aufs Hirn!"

Foto: Heribert Corn

Standard: Wenn Ernst Molden als dunkler Wiener Songwriter ein Weihnachtslied schreiben würde, müsste in diesem mindestens der Christbaum brennen. Richtig?

Molden: Ich habe schon eines gemacht: Mim Grisdkind wos rauchn. Ein Mundarttext, basierend auf John Lennons und Yoko Onos Happy X-Mas (War Is Over). Die Frau hat aber gesagt, ich darf dieses Lied nicht aufnehmen. Erst wenn meine Kinder nicht mehr ans Christkind glauben, habe ich dafür die Genehmigung. Das ist ein Denkfehler. Dieses Lied glaubt ans Christkind mehr als alle anderen: "Mim Christkind wos rauchn/ i warat daffia/ Mea tat i ned brauchn/ wauns sei muass a Bier." Eigentlich bin ich ja nicht lustig, dieses Lied aber schon. Weihnachten ist das größte Glücksversprechen, das die Menschheit bereithält. Die Kurzatmigkeit der Vorfreude - und dann bekommt man eine aufs Hirn!

Standard: Das Weihnachtslied gilt als Königsdisziplin des Liederschreibens. Geht es hier um die Vermeidung von Peinlichkeit?

Molden: Jeder Hollywoodfilm drückt diesbezüglich auf ein Pathos, das unredlich ist. Man muss einen guten Grund haben, dass man zu solchen Mitteln greift. Und wenn man den nicht hat, ist man ein Schwein.

Standard: Im Lied "Hammerschmidgossn" aus Ihrem Album "Wien" verhandeln Sie eine Stadt, die es so gar nicht mehr gibt. Sie singen über ihren Bauch, ihre Ränder. Sind Sie ein Nostalgiker?

Molden: Das Schöne ist immer am Wegsterben! Das zieht sich durch die ganze Geschichte der Stadt. Es kommt zwar immer etwas anderes Schönes nach. Man muss sich allerdings immer auf etwas setzen, das gefährdet ist.

Standard: Die aktuelle Wiener Realität erschließt sich möglicherweise anders als hier in diesem abblätternden 50er-Jahre-Café am Heumarkt, in dem wir sitzen. Man würde sich eher in einer Döner-Bude oder in der Lugner City treffen.

Molden: Richtig, das Havelka von H. C. Artmann oder Georg Danzer ist mittlerweile ins Elysium des Touristischen hinübergerutscht. Die Hammerschmidgasse war als Kind meine absolute Gegenwart. Da musste man im Viertel hingehen. Dass man dann diesen Ort als Erwachsener wieder besucht und nichts mehr von früher da ist, erfüllt einen mit Wehmut. In der spiegelt man sich selber. Man ist seinem eigenen Ableben einfach 35 Jahre näher gekommen. Wenn man ewig leben würde, wäre es einem wurscht. Die Hammerschmidgasse aber stirbt einem voran.

Standard: Eine Projektion?

Molden: Ja. Ich hatte immer relativ viel Glück in meinem Leben. Trotzdem habe ich in meinen Songs und in meinen Büchern diese Traurigkeit drinnen - und in der fühle ich mich wohl. Traurigkeit lässt die guten Dinge richtiger dastehen. Würde man außer Acht lassen, dass die guten Dinge endlich sind, dann wäre das eine Lüge.

Standard: Ist Songschreiben für Sie ein befreiendes Erlebnis?

Molden: Wenn es mir gutgeht, schreibe ich die besten traurigen Lieder. Ich werde beim Schreiben meist euphorisch, wenn mir etwas gelingt. Dazu muss ich eine gewisse Rundheit mit mir selbst haben.

Standard: Sind Sie ein disziplinierter Arbeiter? Oder warten Sie auf den Musenkuss? Nick Cave, der vor einem Jahrzehnt Ihr Lehrer bei der Schule für Dichtung war, gilt als Mann mit fixen Bürozeiten.

Molden: Ich glaube, bei Cave hat es eher damit zu tun, dass er Ende der 90er-Jahre Zwillinge bekommen hat und von daheim weg wollte. Das hat er dann als feste Arbeitszeit idealisiert. Thomas Mann mit seinen 17 Gschrappn hat das auch praktiziert. Ich finde das ein bisschen affig. Letztendlich ist Kunstproduktion unter allen Umständen möglich. Wenn die Leidenschaftskonstruktion groß genug ist, schreibt man halt in der Nacht. Wenn du ein Arschloch bist, haust du daheim die Tür zu, oder du fährst zwei Wochen nach Bad Tatzmannsdorf. Es gibt da tausend Möglichkeiten.

Standard: Würden Sie sich als Zuhörer und Verdichter bezeichnen? Ihre Texte beinhalten ja einen hohen Realitätsanteil.

Molden: Ich brauche eine gewisse Welthaltigkeit. Bei mir müssen immer Fleischfetzen des Realen dranhängen. Ich muss mich auch in der Stadt herumtreiben. Vor allem bei den Büchern ist das notwendig. Über einige Seiten strahlen sie Frische aus, dann wird das Papier übermächtig, und ich stocke. Es kommt keine Luft mehr rein. Dann höre ich zu schreiben auf und "lebe" eine Zeitlang.

Standard: Ist Wien mit seinen Klischees eine ideale Vorlage?

Molden: Meine Sprache ist die des äußeren dritten Bezirks, wo ich wohne. Die Leute in Jogginghose und mit Goldketterl am Leberkässtand im Interspar treten in meine Lieder und beginnen zu sprechen.

Standard: Sie sind über die Jahre weg vom Geschichtenerzählen hin zum atmosphärischen Beschreiben gekommen. Stimmt das?

Molden: Der Romancier in mir bröckelt weg. Den Typen, der dort drüben im Lokal ein Bier trinkt, den muss ich nicht erklären. Da weiß ich eh, wie es daheim bei ihm ausschaut, wenn er gerade mit seiner Frau telefoniert, weil er heute wieder später heimkommt.

(Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 23.12.2008)