Wenn all die Konjunkturprogramme, die milliardengesättigt jetzt in den USA und Europa beschlossen wurden, auch wirklich herzhaft durchgezogen werden und letztlich greifen - so gegen Ende 2009 - dann:

... dann wird alles gut? Kann sein, kann auch nicht sein. Die bisherige Interpretation der sich abzeichnenden Krise lautet, dass im Gefolge der Finanzkrise die Realwirtschaft deswegen einbricht, weil die erschreckten Banken keine Kredite mehr vergeben und die erschreckten Konsumenten in den USA und Europa das Konsumieren eingestellt hätten.

Wenn es so ist, dann besteht ja noch Hoffnung. Eine andere Erklärung für die Krise wäre aber wesentlich unangenehmer. Sie würde etwa so lauten: Die amerikanische Finanzblase ist entstanden, weil die Masseneinkommen in den USA seit mindestens 20 Jahren stagnieren, bzw. real sinken. Die Konjunktur und der Konsum wurden nur durch das Anhäufen von Schuldenbergen (schlecht besichert durch weit überbewertete Privathäuser) in Gang gehalten.

Aber durch Produktion, durch die Herstellung von Dingen mit einiger Wertschöpfung, die irgendwer will, konnte die amerikanische Mittelschicht schon lange kein gutes Geld mehr verdienen. Weil die Produktion großteils nach Asien abgewandert ist und entweder Arbeitsplätze total ausradiert hat oder die Einkommen einem entsprechenden Druck nach unten aussetzte.

Europa ist etwas besser dran, aber auch hier wandert Produktion ab (nach Osteuropa und auch nach Asien). In Wahrheit hat eine Entindustrialisierung stattgefunden, die etwa in Großbritannien durch Einkommen aus Nordseeöl und einen gewaltig gewachsenen Finanz-Dienstleistungssektor kompensiert wurde. Bisher.

Demnach wäre die Krise strukturell, nicht konjunkturell. Auf einer immer schmaleren industriellen Basis entstand eine riesige Finanz (im Grunde: Schulden-) Blase - eben weil die "harte" Produktionsbasis immer kleiner wurde.

Nun werden rumänische oder chinesische Fabriken weiterhin keine BMWs oder Supercomputer hervorbringen. Der technologische Vorsprung der "alten" industriellen Welt ist immer noch da. Aber ob er ausreicht, um den europäischen und amerikanischen Wohlstand (samt Sozialsystem) weiter zu tragen, ist die Frage.

Vielleicht haben diese Überlegungen keinen faktischen Kern, und es wird mit der Macht von Konjunkturprogrammen plus industriellen Innovationen gelingen, die alten Industrienationen wieder auf ihren überaus beneidenswerten Status zu bringen. Vielleicht wird die massenhafte Verlagerung von "einfachen" Produktionen in weniger entwickelte und lohnmäßig nicht so teure Länder zwar weitergehen, aber nichts ausmachen, weil inzwischen ausreichend "Ersatz" gefunden wurde.

Praktisch jede europäische Regierung betont ja die Notwendigkeit von Forschung und Entwicklung, um den Vorsprung weiter zu halten.

Vielleicht zeichnet sich hier aber eine dramatische Entwicklung ab, die die Regierungen (unsere hat gerade die Forschung gekürzt) einfach nicht sehen wollen. Hans Rauscher, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.12.2008)