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In der Großen Halle des Volkes stand er als Erster in der Reihe des Empfangskomitees, das im vergangenen Mai Chinas Vizepräsident Hu Jintao nach dessen USA-Reise mit Handschlag begrüßte. Das Außenministerium hatte Journalisten zu der Szene geladen. Der Brillenträger und Vizepremier Wen Jiabao lächelte linkisch. Seine Körpersprache drückte aus, wie ungern er im Rampenlicht steht.
Ein halbes Jahr später war alles klar, als er in der Großen Halle dem zum KP-Parteichef ernannten Hu Jintao auf die Bühne folgte. Der wie Hu 60-jährige Wen war gerade als Mitglied des Politbüroausschusses zu einem der neun mächtigsten Männer Chinas gewählt worden. Wen Jiabao wird nun auch in der Regierung an der Seite Hus stehen, wenn dieser am 18. März zum neuen Staatspräsidenten gewählt wird; Wen wird der neue Premier. Chinas Zeitungen schreiben schon vom Team "Hu und Wen".
Das politische Tandem, das Chinas Politik in den kommenden fünf Jahren gemeinsam managen will, fuhr auch schon gemeinsam Fahrrad. Nebeneinander. Das war von 1968 bis 1978 in Chinas Wüsten- und Armutsprovinz Gansu. Dort arbeitete der studierte Geologe - dessen Frau Zhang Peili, mit der er zwei Kinder hat, ebenfalls Geologin ist - zur selben Zeit wie der Wasserbauingenieur Hu. Die beiden Nachwuchspolitiker fielen dem mächtigen Parteifunktionär Song Ping auf. Auf dessen Empfehlung landeten sie schließlich 1982 in Peking.
Wen Jiabao gilt mit 20 Jahren Erfahrung in der Zentralregierung als beste Wahl in der Nachfolge Zhu Rongji. Als Büroleiter und Krisenmanager hatte er unter vier Parteichefs und Premiers - unter Hu Yaobang, Zhao Ziyang, Jiang Zemin und Zhu Rongji - gedient, von denen die beiden ersten politisch in Ungnade fielen und gestürzt wurden. Wen, seit 1987 auch ZK-Mitglied, kam selbst nie unter die Räder. Kritiker nennen ihn ein Stehaufmännchen.
Andere haben Achtung vor dem Spezialisten für Finanzen und Börsen, für Agrarpolitik, Umweltschutz, Armutsminderung und Naturkatastrophen. Chinesen kennen ihn vom Fernsehen, als er im Großeinsatz die Notmaßnahmen gegen die Fluten 1998 und 1999 koordinierte. Wen sei "umgänglich" und "pragmatisch", sagen westliche Diplomaten. Er löse Probleme im Konsens, so wie auch Hu Jintao. Manche halten Wen und Hu deshalb für zu "soft".
Dem im September 1942 in Tianjin geborenen Wen war die Politik nicht in die Wiege gelegt. Er kommt aus einer Familie von Lehrern und wurde konfuzianisch erzogen. Sein Vater lehrte Geografie, die Mutter Sprache. Der Name, den sie ihm gaben, hat als Wortspiel Bedeutungen wie "geborgen" und "gut versorgt sein". Er prädestiniert Wen für seine Aufgabe, China wohlhabend zu machen. (Johnny Erling/DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2003)