dieStandard.at: Sie werden oft und gerne als "Ausnahmegitarristin" bezeichnet - welche Bedeutung hat das für Sie?
Miki Liebermann: Das ist ein großes Kompliment, über das ich mich natürlich sehr freue - jeder Künstler fühlt sich durch so etwas geschmeichelt. Ansonsten ist es für meine Arbeit ziemlich irrelevant.
dieStandard.at: Warum ist es ausgerechnet dieses Instrument geworden?
Miki Liebermann: Weil daheim zu wenig Platz für ein Klavier war. Eine Gitarre und eine Geige waren aber schon im Haus, also habe ich zuerst Geige begonnen. Es war ein ganz altes Instrument und als ein Bekannter meiner Eltern sich anbot, es zu stimmen, ist es auseinandergebrochen. Da habe ich die Gitarre bekommen.
Meine Mutter hat meinen Hang zur Musik sehr unterstützt. Sie hat hobbymäßig selbst gerne musiziert, Jazzmusik und Gospels gehört, mein Vater Operette und Oper und ich hatte als Kind schon einen eigenen Plattenspieler, den ich stundenlang begeistert bedient habe. Mit 15 habe ich begonnen, klassische Gitarre auf der Hochschule zu studieren, fünf Jahre lang, dann sind langsam Jazz, Rock und Funk eingeflossen.
dieStandard.at: Was ist es, das die Leute an Ihrem Spiel so fasziniert?
Miki Liebermann: Das weiß ich nicht! Keine Ahnung ... meine Freude, Neugierde, der Spaß, den ich an dem habe, was ich tu ... ich mache es einfach gerne und verlasse mich darauf, dass es weiter funktioniert und mein Beruf mir Berufung bleibt.
dieStandard.at: Und was fasziniert Sie selbst am Spiel auf der Gitarre?
Miki Liebermann: Man kann auf der Gitarre Akkorde spielen wie am Klavier, sie hat was von einem rhythmischen Instrument - man kann darauf ein bisserl Schlagzeug spielen -, und man kann Gitarren vor allem wunderbar verstimmen und dann hat man gleich ein neues Instrument, mit dem man herrlich experimentieren kann. Das mache ich sehr gerne, vor allem, wenn ich solo oder im Duett spiele. Ich muss immer etwas Neues ausprobieren, sonst wird mir schnell fad.
dieStandard.at: Wie haben Sie gemerkt, was "Ihr" Stil ist, in welche Richtung Sie sich musikalisch entwickeln wollen?
Miki Liebermann: Ich dachte früher, man braucht sehr lange dazu - jetzt, wo ich schon länger spiele, erkenne ich, dass gewisse Dinge einfach passieren und einiges schon sehr früh am Anfang festgelegt ist. Je mehr Erfahrungen man sammelt, umso mehr findet man seinen eigenen Stil, auch daraus, wo man gerne hin will, wo man hinkommt und daraus, dass man versucht, aus jeder Situation das Beste zu machen. Wenn einen etwas besonders interessiert, nimmt man auch verstärkt Dinge und Chancen wahr, die einen dort hinbringen, wo man hin will. Und dann sagt man irgendwann: Jetzt kann ich mich nicht mehr neu erfinden, denn jetzt ist da ja schon einiges vorhanden, mit dem man nun arbeiten muss. Ab einem gewissen Alter habe ich mir gesagt: So, nun mache ich das Beste aus dem, was ich kann. Die Arbeit ist dann plötzlich eine andere - man braucht nicht mehr suchen gehen, sondern nehmen, was da ist und daraus etwas schaffen.
dieStandard.at: Welche Erfahrungen, Menschen oder Erlebnisse auf dem Weg dorthin haben Sie künstlerisch besonders beeinflusst oder geprägt?
Miki Liebermann: Das erste Konzert, das mich wirklich beeindruckt hat, war "Weather Report", damals noch mit Jaco Pastorius, in der Wiener Stadthalle. Das hat mich wirklich fasziniert. Und geprägt hat mich natürlich auch die Arbeit mit Kurt Ostbahn und der Chefpartie.
Eines meiner großen Vorbilder war Jimi Hendrix - am Anfang hatte ich große Probleme, weibliche Vorbilder zu finden, denn es gab kaum bekannte Gitaristinnen. Mit 15, 16 hat man ein großes Identifikationsbedürfnis - sich in dem Alter als junge Frau mit Jimi Hendrix zu identifizieren ist komisch und schwierig, das schafft Brüche. Die sind aber andererseits nicht ungesund, weil man sich dann mit seinem eigenen Rollenverhalten auseinandersetzen muss, was ich zwangsläufig auch gemacht habe. Irgendwie muss man dann seinen eigenen Weg finden. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich da in der Branche sehr viel verändert: Mittlerweile gibt es auch viele tolle Musikerinnen - die Gina Schwarz zum Beispiel ist eine großartige Bassistin.
dieStandard.at: Sie haben ab 1989 fast sechs Jahre lang als "Lilli Marschall" mit Kurt Ostbahn gespielt - wie kam es dazu?
Miki Liebermann: Eigentlich war das relativ unspektakulär. Bei der Chefpartie haben sie damals gerade einen Gitarristen gesucht. Da bin ich mit eingestiegen - und nicht mehr ausgestiegen. Dass eine Frau in einer Rockband Gitarre spielt, das war für damals sehr emanzipiert. Es waren ziemliche Machos in der Band, das kann anstrengend sein, aber ich glaube, dass Männer von Frauen und Frauen von Männern lernen können müssen. Ich mag geschlechtergemischte Ensembles sehr gerne, weil ich das als eine Bereicherung empfinde. Die anderen haben mich schon ausgetestet, wie viel ich aushalte und was nicht, das war nicht ganz meins, aber trotzdem hab ich diese intensive Zeit in der Band sehr genossen.
Die Situation in der Chefpartie war damals natürlich sehr extrem, weil es mit der Band so rapide aufwärts gegangen ist. Man ist mit den Arbeitskollegen sehr viel und intensiv zusammen, das ist teilweise echt heftig. Wir sind dauernd im Bandbus zusammengepickt. Dabei lernt man aber auch viel, vor allem, wie man mit sich selbst alleine sein kann, während man mit sechs Wahnsinnigen unterwegs ist: Jeder Wahnsinnige denkt sich, wie er sich von den anderen Wahnsinnigen abgrenzen kann. Man wird dabei sehr gelassen und entwickelt starke Nerven.
dieStandard.at: Hatten Sie vorher Bedenken, als einzige Frau zu einer Männerband zu gehen?
Miki Liebermann: Meine Devise war: einfach machen. Ich glaube, man darf nicht von vornherein sagen, ich hab's deswegen schwerer, weil ich eine Frau bin - ich glaube, man muss es einfach machen, und dass viel mehr möglich ist, als man denkt, wenn man es einfach tut. Sonst hätte ich sagen müssen: Ach, das ist mir zu mühsam oder das könnte Probleme geben. Nein - das sind nur Ausreden dafür, dass es nicht funktioniert. Man belastet sich nur damit, wenn man sich als Frau Grenzen auferlegt, die oft nur im Kopf vorhanden sind. Wenn es welche gibt, merkt man es dann eh. Aber zuerst sollte man sich einmal das nehmen, was man haben will.
dieStandard.at: Wie sind Sie an ihren Bandnamen "Lilli Marschall" gekommen?
Miki Liebermann: Jeder von uns hat einen Künstlernamen gehabt. Wenn ich in der Volksschule gefragt wurde, was ich werden wollte, habe ich immer "Zirkuskünstlerin" gesagt. Lilli, das klingt so nach Seiltänzerin, und Marshall, das war der Verstärker, auf dem ich gespielt habe.
dieStandard.at: Wie ging es nach der "Chefpartie" dann weiter?
Miki Liebermann: Das waren sechs so intensive Jahre, dass ich zunächst beschlossen habe, einmal drei Jahre gar nichts zu tun. Auch deshalb, weil ich mich ein bisschen davon distanzieren musste, um etwas Neues anfangen zu können. Vor allem, wenn man einen Künstlernamen hat, wird man immer damit verbunden; ich musste also ein wenig Gras darüber wachsen lassen. Ich brauchte die kreative Pause auch, um mich neu zu orientieren. Es ist ein Glücksfall, wenn man etwas so lange machen kann, aber ich brauchte dann auch meine Zeit, um mich davon zu erholen. Ich hätte am Anfang ja nie gedacht, dass es so lange dauern wird. Man soll immer aufhören, wenn es am Schönsten ist und ich glaube, das ist uns mit der Chefpartie ganz gut gelungen.
dieStandard.at: Welche Erfahrungen aus dieser Zeit haben Sie für Ihre spätere Arbeit mitgenommen?
Miki Liebermann: Vor allem viel Routine. Es gibt viele Kleinigkeiten, um die ich ich mich heute nicht mehr kümmern muss - zum Beispiel auf die Bühne zu gehen wie ins Wohnzimmer. Lampenfieber hat man nach 800 Mal nicht mehr wirklich. Wenn ich aufgeregt bin, dann gehe ich auf die Bühne und höre ein bisschen zu.
Vom Künstlerischen her mache ich heute ganz eine andere Musik als die, die wir damals gemacht haben, das kann man gar nicht vergleichen. Ich habe mich nach den drei Jahren Pause in eine ganz andere Richtung entwickelt: Ich habe noch einmal ganz von vorne begonnen, das hat großen Spaß gemacht. Ich spiele jetzt viel akustische Gitarre, habe mich viel für Jazz interessiert und für zeitgenössische klassische Musik. Ich habe mir viel angehört, viele Musikbücher gelesen, habe hier einmal mitgespielt, bin dort mal bei einer Session eingestiegen. Daraus haben sich dann viele schöne Sachen entwickelt. Solange man die Energie hat, kann man im Leben ja immer wieder etwas Neues beginnen - zum Künstlersein gehört das einfach dazu, finde ich, denn es muss ja authentisch sein, was man macht. Ich hoffe, dass ich diese Energie und die Begeisterung, für das, was ich tue, noch lange haben werde.
dieStandard.at: Welche Projekte laufen gerade aktuell?
Miki Liebermann: Ich arbeite mit Marwan Abado - einem palästinensischen Sänger, Komponisten und Oudspieler -, mit Percussionist Peter Rosmanith und der Formation "5/8erl in Ehr'n". Mit Peter Rosmanith werde ich demnächst noch mehr zusammenarbeiten - im Duo, Trio, Quartett, wie es gerade passt.
Mit den 5/8erln spiele ich Wienerlieder in einer souligen, jazzig-g'schmackigen Mischung. Jetzt im Dezember haben wir zum Beispiel auf der Premierenparty des Merkatz-Filmes "Echte Wiener" gespielt. Und einmal in der Woche unterrichte ich an der Musikschule in Wien-Simmering.
dieStandard.at: Was geben Sie Ihren Schülern mit auf ihren musikalischen Weg?
Miki Liebermann: Musik soll Spaß machen! Für mich ist sie auch wie Medizin - ich kann mich krank zu einem eigenen Konzert quälen, weil man ja nicht absagen will, aber wenn ich zu spielen beginne, spüre ich davon gar nichts mehr. Ich habe mir so schon oft eine Verkühlung weggespielt.
dieStandard.at: Wenn Sie selbst Musik hören, in welche Richtung geht das dann?
Miki Liebermann: Es gibt Phasen in denen ich viel Musik höre und dann wieder kaum, weil ich die Ruhe genieße. Wenn, dann höre ich viele extrem verschiedene Sachen, von bis. Ich bin immer neugierig - mir wird schnell fad, wenn ich zu lange das Gleiche höre, dann brauche ich wieder was völlig anderes.
dieStandard.at: Gehen Sie selbst auch auf Konzerte?
Miki Liebermann: In den vergangenen eineinhalb Jahren wenig, weil ich viel selbst gemacht habe. Da fehlt mir dann oft die Energie dazu und ich setze mich lieber zuhause hin und lese ein Buch. Aber ich würde gerne wieder öfter gehen, auch um mir anzuhören, was die Kollegen machen - das ist immer sehr inspirierend.
dieStandard.at: Was ist Ihnen im Zusammenspiel mit anderen besonders wichtig?
Miki Liebermann: Dass man einander zuhört. Zusammenspiel macht nur einen Sinn, wenn man miteinander kommuniziert.
dieStandard.at: Wie gehen Sie mit Fehlern um?
Miki Liebermann: Fehler in der Musik sind mir völlig wurscht - nur fad darf mir nicht werden. Für mich zählt das, was rüberkommt. Auch eigene Fehler sind mir egal, ich bemühe mich nicht einmal, keine zu machen. Ich will Spaß haben, authentisch sein und den Leuten einen schönen Abend bieten. Es wird ja dann erst spannend, wenn man sich in der Situation überlegen muss, wie man da wieder raus kommt. Da wird's erst interessant! Wenn großartige Musiker Fehler machen, ist es virtuos, wie sie sich auffangen - das mitzuerleben ist ein wahrer Hochgenuss, großartig, es gibt kaum etwas Besseres!
dieStandard.at: Wie können Sie in der Freizeit - abgesehen von Musik - am besten ausspannen?
Miki Liebermann: Bei der Gartenarbeit in meinem Schrebergarten! Blumen ein- und ausgraben, den Marienkäferln beim Vermehren zuschauen, den Igel schmatzen hören ... beim Gärtnern kann ich wirklich entspannen, weil ich dabei keinen Anspruch auf Perfektion habe. Ich schau mir aber auch gern Ausstellungen und Filme an, lese gerne gute Bücher. Für mich gehören alle Kunstformen irgendwie zusammen und egal, was es ist: Ich tät alles gern selber machen! (Isabella Lechner/dieStandard.at, 23.12.2008)