Bild nicht mehr verfügbar.

Jedes Jahr sterben Kinder und Erwachsene, weil sie nicht freigegebene Eisflächen befahren

Foto: APA/dpa/Patrick Seeger

Rauer als jede perfekt gepflegte Kunsteisbahn, präsentiert sich die Eisfläche auf einem gefrorenen See. Der Schlittschuhläufer wird dadurch etwas gebremst, doch umgeben von verschneiten Wäldern und Bergen, ist das eisige Vergnügen dort primär von nostalgischem Wert. Vorrausgesetzt: Auf die Tragfähigkeit des Eises ist auch Verlass. Österreichs Seen werden offiziell erst ab einer Eisdicke von 15 Zentimetern und mehr zum Betreten freigegeben. Neben Eisläufern, Spaziergängern und Eisstockspielern, vermag das Eis dann mitunter sogar schwere Räumfahrzeuge zu tragen.

Trotz aller behördlichen Warnungen tauchen jedes Jahr zwischen Dezember und März Meldungen über eingebrochene Eisläufer auf. Meist passieren diese Unfälle auf nicht freigegebenen Gewässern. Die magische Anziehungskraft von Wasser auf Kinder ist hinlänglich bekannt. Erwachsene treibt wohl eher Unwissenheit hinaus auf das bisweilen gefährliche Terrain.

Stadium 1: Eintauchreflex und Kälteschock

Eine Entdeckungsreise, die mitunter tödlich endet, denn einer eingebrochenen Person bleibt nicht viel Zeit. Das eiskalte Wasser reizt die Nervenendigungen (Kälterezeptoren) in der Haut, in weniger als einer Sekunde nach dem Eintauchen ziehen sich die Lungen des Verunglückten reflektorisch zusammen und der Mensch beginnt hektisch zu atmen. Dieses Hyperventilieren löst Krämpfe aus. Indessen beginnen Herzfrequenz und der Blutdruck zu steigen, Kammerflimmern und Herz-Kreislaufstillstand drohen.

Stadium 2: Schwimmversagen durch lähmende Kälte

Dazu kommt, auch ein trainierter Sportler kann bei diesen Temperaturen nicht mehr viel tun, denn die Kälte lähmt Muskeln innerhalb kurzer Zeit. Bewegungsunfähig gehen Kinder wie Erwachsene auch bei niedrigem Wasserstand unter. Versuche zur Selbstrettung sind fast immer zum Scheitern verurteilt.

Stadium 3: Die Unterkühlung

Zu guter letzt beginnt im Eiswasser die Körperkerntemperatur bedrohlich zu sinken. Nach ungefähr 15 Minuten tritt bei einer Körperkerntemperatur von 27 Grad Bewusstlosigkeit ein.

"Es gibt zwei Möglichkeiten, wenn ein Mensch in eiskaltes Wasser eintaucht. Entweder er ertrinkt durch Ersticken bereits im Stadium eins beziehungsweise zwei, oder aber das Herz kommt erst infolge der starken Unterkühlung zum Stillstand", erklärt Michael Putz, leitender Flugrettungsarzt des Christophorus 14 in Niederöblarn, Steiermark. Das Wissen um die Todesursache ist für nachfolgende Wiederbelebungsversuche von entscheidender Bedeutung. Es erklärt außerdem, warum immer wieder Menschen überleben, die erst nach 30 Minuten und mehr aus eiskaltem Wasser gezogen werden.

"Erstickte Patienten haben eine ganz schlechte Prognose", bedauert Putz. Menschen mit einem Herzkreislaufstillstand und einer Körpertemperatur von 24 Grad Celsius besitzen dagegen erstaunlich gute Chancen auf eine erfolgreiche Reanimation nach Wiedererwärmung.

Stellt sich die Frage, wie  der Notarzt die Lage vor Ortbeurteilt. "Gleich nachdem der Ertrunkene aus dem Wasser geborgen wird, wird die Körperkerntemperatur von dem Rettungsteam überprüft", so Putz. Gemessen wird diese mit Hilfe einer Sonde im Gehörgang oder rektal. Liegt sie beispielsweise bei 32 Grad, geht der Internist und Allgemeinmediziner davon aus, dass dieser Patient an den Folgen der aussetzenden Atmung verstorben ist. Ansonsten wäre der Verunglückte bei dieser Körperkerntemperatur in der Regel nämlich noch bei Bewusstsein. Reanimiert wird trotzdem, jedoch nur mehr einen begrenzten Zeitraum hindurch.

Kinder im Vorteil

Ein kleiner Vorteil für Kinder: Sie kühlen schneller aus, denn ihre Körperoberfläche ist im Verhältnis zur Körpermasse relativ groß. Das erhöht ihre Überlebenschancen, denn durch die rasche Unterkühlung werden sämtliche Körperfunktionen auf ein Minimum reduziert und auf diesem Niveau dann konserviert. "Letztlich geht es jedoch immer darum, ob das Gehirn einen Schaden davon trägt", sagt Putz. In der Notfallmedizin ist das ein heikler Punkt, denn die erfolgreiche Reanimation schließt eine bleibende Behinderung leider nicht aus.

Herzstillstand

Erfreulicherweise wird nicht jeder Eingebrochene bewusstlos aus dem Wasser geborgen. So ist es durchaus möglich, dass der Gerettete ansprechbar ist. Allerdings ist er damit aus dem gröbsten noch nicht heraus, denn bis zu 20 Prozent der Fälle erleiden erst innerhalb der folgenden Stunden einen Herzstillstand. "Das wichtigste Gebot lautet, den Geretteten schonend zu lagern und ihn so wenig wie nur möglich zu bewegen. Auf keinen Fall dürfen seine Gliedmassen zum Aufwärmen massiert werden", betont der Notfallmediziner Putz. Das drohende Problem zu diesem Zeitpunkt: Die Körperkerntemperatur sinkt weiter ab, sobald sich durch die Bewegung das kalte Blut aus Beinen und Armen mit dem Kernblut vermischt.

Neben der vorsichtigen Lagerung schützen auch Silberfolien, Decken oder chemische Wärmepackungen vor der weiteren Auskühlung. Mit wärmenden Infusionen und gezuckerten warmen Getränken wird die Körpertemperatur ganz behutsam erhöht.

Vor dem Hintergrund, dass sich die Bergung eines verunfallten Eisläufers häufig schwierig gestaltet, kann Putz nur noch einmal vor dem Betreten nicht freigegebener Flächen warnen. "Die Geschichte mit der Leiter funktioniert nicht immer und eine solche ist auch nicht immer zur Hand", weiß er aus Erfahrung. Hubschrauberbergungen sind dann die Lösung, die für Einsatzkräfte ebenfalls hohe Risiken bergen. Der Helikopter schwebt dabei knapp über der Eisoberfläche, der Flugretter sitzt draußen auf der Hubschrauberkufe und zieht denn Patienten mit seinen Händen an Land. (phr, derStandard.at, 6.1.2009)