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Nach 26 Jahren im Postdienst hat selbst er Abnützungserscheinungen und spürt Beschwerden in Arm und Knie. Trotzdem zählt er zur Generation, die bis 65 arbeiten muss. Werners Wagen: von 4.30 Uhr bis 14.30 Uhr auf den Beinen.

foto: apa/schneider

Wenn er in den zweiten Stock kommt, nimmt er immer zwei Stufen auf einmal. Er weiß, dass Leute ungern zum Postamt gehen, und versucht, Pakete direkt zu liefern. Er weiß, wer wann zu Hause ist und wer für wen Post übernimmt. Er weiß auch, dass ich zwei verschiedene Namen habe und die Firma im Haus zwei Anschriften hat. Der Mann nimmt nicht nur zwei Stufen auf einmal, er denkt auch mit – und torpediert somit das vorherrschende Klischee des Postlers.

Mein Briefträger heißt Werner und ist 41 Jahre alt. Seit Montag weiß ich, dass er, wenn ich aufstehe, schon eineinhalb Stunden lang im Postamt in der Wiener Weintraubengasse steht und Post sortiert. Er ist dort einer von 61 Briefträgern (davon 10 Frauen). „Vor 15 Jahren waren wir noch 120 Leute“, sagt er und ordnet Briefe in die Regale. Es ist kurz nach 7 Uhr früh und in der mit Halogenröhren ausgeleuchteten Halle ist Hochbetrieb. Ö3-Weihnachtsmusik dudelt aus einem Lautsprecher. Darüber legen sich die Stimmen der Kollegen, die sich immer wieder etwas zurufen. Jeder arbeitet hier in seiner Nische, am Sortiertisch, drei Kollegen nebeneinander.

Werner trägt Jeans, Trekking-Schuhe und kurzärmelige Funktions-Unterwäsche: „Weniger, weil es kalt ist, sondern, weil ich beim Austragen ins Schwitzen komme.“ Sein graues T-Shirt mit der Post.at-Aufschrift hängt gemeinsam mit der dunkelblauen Goretex-Jacke am Hacken. „Erinnerst dich an die schweren Lodenwalker?“, fragt der Kollege hinter Werner, der seinen Wagen packt: „Wenn ich nächstes Jahr gehe, kannst die alte Jacke haben.“ Gerhard ist 59 und einer jener Posten, die im nächsten Jahr abgebaut werden „ohne, dass es betriebsbedingte Kündigungen gibt“, wie es heißt. Ob und in welcher Form seine Stelle nachbesetzt wird, weiß Werner nicht.

„Alle paar Jahre ändert sich etwas“, sagt Werner, während er Benachrichtigungen für eingeschriebene Briefe vorschreibt. Seine blauen Augen schauen in einer Mischung aus Besorgnis und Wachheit. Seine Bewegungen wirken routiniert, seine Daumen sind mit grünen Fingerkappen aus Plastik geschützt. Er ist Briefträger in der Leopoldstadt, seit er 15 ist. Hier ist er aufgewachsen, lebt aber seit 1991 mit Familie in Langenzersdorf. Rayone, die Zustellgebiete für jeden Briefträger, wurden immer wieder zerrissen und werden immer größer, erzählt er. Der Postwagen, den er gerade holt, ähnelt einem modernen Kinderwagen zum Joggen. Der hat zwei große gelbe Taschen und zwei Plastikkisten für Pakete. Werner lässt sich auch zwei Postsäcke nachfahren, weil er alles auf einmal nicht schieben könnte.

„Die Post ist nicht weniger geworden“, erklärt der 41-Jährige, sie hätte sich nur qualitativ verändert. Mittlerweile hat er sich Langarm-Polo und Jacke angezogen. Mit den Paketen vor Weihnachten schiebt Werner mehr als hundert Kilo. Er ist trainiert und einer der Sportlichsten hier. Ein dreiviertel Jahr fährt er täglich mit dem Bike in die Arbeit, pro Richtung eine halbe Stunde. Momentan ist es zu kalt.

Seine tägliche Tour als Briefträger beginnt in der Lilienbrunngasse 21. Er lässt den Wagen vor der Tür, spurtet rein, sortiert die Post, klingelt an, wenn es R-Briefe gibt und stellt sie zu, wenn es sein muss auch in den vierten Stock ohne Aufzug. Dann im Zickzack weiter durch die Straße. „Wir sind keine Briefträger mehr“, sagt er, während er Werbeprospekte und Postwurfsendungen einsortiert. Wenn er ein Fach auslässt, hat das einen Grund: „verzogen“, „im Heim“ oder „steht leer“. Er weiß viel über die Menschen in seinem Rayon: Wer die Hausbesitzer sind, wer wann eingezogen und wer wo rausgestorben ist, wer viele eingeschriebene Briefe bekommt, wer seinen Briefkasten nie ausleert usw. Werner sagt, dass „Briefträger heute nichts mehr gelten“ und hadert mit dem Image, das er selbst nicht erfüllt. Was ihn ärgert: „Nach der Teilprivatisierung hätten sich alle gefreut: ,Die sollen endlich was hackeln!?‘ Die Leute vergessen, dass Kunden am meisten betroffen sind. Wenn das Postamt am Karmelitermarkt zusperrt, werden sich die Leute ordentlich beschweren!“

Werner grüßt die Leute im Flur mit Namen, übergibt ihnen unaufgefordert die Post, erfüllt Sonderwünsche („Bitte meine Post ins Café Strauß!“) und ist so flexibel, wie man sich das heute von Mitarbeitern wünscht. Immer zack, zack. Über die Jahre hat er Systeme entwickelt, die Zeit sparen. Bei IBM geht er über den Hintereingang rein, in der Leasing-Firma holt er sich die unterschriebenen Abschnitte vom Vortag, weil „die Dame vom Empfang nicht gleichzeitig telefonieren und unterschreiben kann“. Werner ist schnell und mag es, wenn es schnell geht, deswegen nimmt er selten den Lift.

Erst nach 11 Uhr kommt heute der Briefträger bei meinem Haus an, eine Dreiviertelstunde später als sonst, das liegt an mir und meinen Fragen. Zwei Kuverts mit Trinkgeld hat Werner an diesem Vormittag des 22. Dezember von Kunden bekommen. Keine üppige Ausbeute. Ob es an den schlechten Zeiten oder an den neuen Briefkästen liegt, weiß Werner nicht. Fakt ist: Die Leute können das Trinkgeld nur direkt übergeben. Viele tun das nicht.

Im Café gegenüber macht er täglich eine halbe Stunde Pause und trinkt eine Melange, plaudert mit dem Wirt, der nachher das Mittagsmenü kocht. Essen wird Werner erst, wenn er um halb drei nach Hause kommt. Dann war er 10 Stunden auf den Beinen. „Ich schlafe auf zweimal“, sagt er und lacht. Heißt: Wenn seine Frau um 17 Uhr nach Hause kommt, ist er wieder fit. Nach 26 Jahren hat selbst er Abnutzungserscheinungen und spürt Beschwerden in Arm und Knie. Trotzdem zählt er bereits zur Generation, die bis 65 arbeiten muss, auch wenn er mit 15 begonnen hat. „Die früher haben sicher das System ruiniert“, sagt er, obwohl er selbst Beamter ist. Heute bedeute, so Werner, eine Beamtenpension eben nicht mehr die 80 Prozent vom Letztbezug.

Aber da gibt es Probleme, die akuter sind. 2009 stehen Postämter-Schließungen an, die Belegschaft soll reduziert werden und der Austausch beamteter Briefträger durch Vertragsbedienstete beginnen. Ganz zu schweigen von der Brief-Liberalisierung, die 2011 die Post massiv betreffen wird. Hat jemand wie er Angst um seinen Job? „Nein“, sagt Werner, „aber um die Qualität der Arbeit, das schon.“ Außerdem weiß Werner: „Mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament lässt sich alles beschließen.“ (Mia Eidlhuber, ALBUM, DER STANDARD; Printausgabe, 27.12.2008)