Das Ermüdende an Weihnachten für Erwachsene ist die Hektik, der Verlust an Zeitstillstand unserer Kindheit, an aufgeregter Ruhe, atemberaubenden Überraschungen, stimmungsvoller Verwöhnung, kurzweiliger Langsamkeit, spannender Vertrautheit familiärer Rituale. An Staunen statt listiger Regie.

Können wir, zumindest zu den Feiertagen, ein bisschen "Entschleunigung", Langsamkeit und Staunen zurückgewinnen?

Arthur Rubinstein erklärte das Geheimnis seiner Konzerterfolge mit über 80 Jahren einmal so: Erstens spiele er weniger Stücke, müsse sich also weniger merken; zweitens übe er die wenigen Stücke häufiger; und drittens spiele er die schnellen Passagen besonders langsam, wodurch die langsamen Passagen bedeutungsvoller und die schnellen schneller wirkten.

Das erinnert an Gustav Mahler's Rat an Dirigenten langsamer zu dirigieren, wenn sie merkten, dass sich das Auditorium langweile. So wie von Filmen Long Shots und nicht videoclipartige Flashes und Bilderfetzen, Szenen-Gemälde und nicht Augenreizbrei im Hirn hängen bleiben.

Weise Alte wissen um die Vorteile der Langsamkeit, auch für Junge. Chi va piano, va lontano, wer langsam geht, kommt weit. Als der legendäre Zermatter Bergführer Inderbinnen noch mit 95 aufs Matterhorn führte und die jungen Bergkameraden zuerst über seine Langsamkeit murrten, ließ er sich nicht beirren; als sie Stunden später über sein immergleiches, nunmehr zu rasches Tempo murrten empfahl er "einen älteren Bergführer, wenn sie langsamer auf den Gipfel wollten".

Alles braucht seine Zeit. Freunde wetteiferten, Hummer und Schalentiere ohne angepatzte Krawatte zu verzehren. Als man beim siegreichen Gehirnchirurgen berufliche Skapellvirtuosität als Startvorteil beeinspruchte, enthüllte er als Langsamster den ungeduldig bekleckerten Schnellessern: "I just took the time it takes".

Fast jede(r) weiß, meist folgenlos, wofür man sich gar nicht genug Zeit nehmen kann: wie sehr Vorlust die Lust steigert und wie Teasing und Suspense und Lust in Zeitlupe bis zur Besinnungslosigkeit erregender sein kann als die rasende, reißende sexuelle Gier überfallsartiger Quickies.

Sich retten oder Beute machen: manches erfordert blitzschnelles Tun; doch die Früchte wollen behutsam genossen sein. Für Hermann Hesse erspart Geduld auch Geld und Macht, weil man durch bloßes "Denken, Warten und Fasten" einfach zaubern, alles erreichen könne. Und überlebt zu haben verlängert und intensiviert das Erleben des "restlichen", wiedergeborenen Lebens und verschafft Glücksgefühle wie das Verlassen des Rollstuhls und das Wegwerfen der Krücken.

Und wann haben Sie genug Zeit, einfach einmal gar nichts zu tun, dolce far niente?

Alles was Sie heute und jeden künftigen Tag tun werden ist ungemein wichtig, ja lebenswichtig; würden Sie sonst, wie George Bernard Shaw sagte, einen einzigen Tag Ihres kostbaren Lebens darauf verwenden bzw. verschwenden?

Nehmen Sie sich, wenn auch vorerst nur für die nächsten 168 Stunden, alle Zeit der Welt - für all Ihre Lieben wie für sich selbst. Piano, piano, beglückende Weihnacht, weihevolle Nächte, geruhsamen Rutsch, buon anno! Und heilige Mohren-Könige mit ganz unerwarteten Gaben aus dem Morgenland, nur für Sie! (DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2008)