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Lyn Evans (oben) dirigiert das LHC-Team am Cern, das derzeit nach jahrelangen Arbeiten an Riesendetektoren (unten) hauptsächlich mit Reparaturen beschäftigt ist.

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STANDARD: Sie wurden vom britischen Wissenschaftsmagazin "Nature" Mitte Dezember als "Newsmaker of the Year 2008" ausgezeichnet. Tatsächlich machte der von Ihnen verantwortete Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Kernforschungszentrum Cern wie kaum ein anderes Forschungsprojekt Schlagzeilen – zum Schluss allerdings nur noch negative. Wie gehen Sie mit dieser Ehre um?

Evans: Ich bin eigentlich nur überrascht.

STANDARD: Warum?

Evans: Weil ich der Meinung bin, dass Teilchenphysik normalerweise nicht der sichtbare Teil der Wissenschaft darstellt und damit auch medial nur schwer zu vermitteln ist. Natürlich bin ich davon überzeugt, dass Teilchenphysik zu einem der wichtigsten Bereiche der Wissenschaft zählt, aber es ist nicht der Bereich, über den Nature sonst sehr viel schreibt. Daher ist die Auszeichnung natürlich sehr nett, und ich bin auch glücklich darüber.

STANDARD: Weniger glücklich dürften Sie mit Ihrem Projekt sein. Wo liegt denn eigentlich das Problem bei dieser derzeit größten physikalischen Maschine der Welt?

Evans: Im Beschleuniger sind zehntausende Verbindungsstellen zwischen den Magneten, und eine davon ging kaputt. Das ist im Vergleich mit der großen Anzahl solcher Joints zwar nicht viel, aber die Konsequenzen sind gigantisch. Sie dürfen nicht vergessen, dass der Beschleuniger für den Betriebextrem stark abgekühlt werden muss. Und für die Reparatur muss er, um Materialschäden auszuschließen, extrem langsam wieder erwärmt werden. Das dauert alles seine Zeit.

STANDARD: Was kostet denn die Reparatur für dieses Teil?

Evans: Das Beheben des Fehlers kostet uns 15 Millionen Schweizer Franken. Der gesamte Rahmen ist natürlich weit größer: Die Kosten für das Projekt LHC sind mit vier Milliarden Franken budgetiert.

STANDARD: Es geistern derzeit Gerüchte herum, wonach die Schäden am LHC größer seien als zugegeben, und dass Sie es nicht zustande brächten, den Teilchenbeschleuniger noch im kommenden Jahr wieder zu starten. Ist das was dran?

Evans: Das ist kompletter Nonsens. Wer behauptet denn so was?

STANDARD: Sie müssen sich nur die entsprechenden Blogs im Internet durchlesen ...

Evans: ... ach daher weht der Wind. Die verbreiten ja auch Schreckgespenster von einem möglichen Schwarzen Loch und ähnlichen Unsinn. Nein, das sind alles Verschwörungstheorien. Tatsache ist, dass wir mit den Arbeiten gut vorankommen und alles wie geplant läuft.

STANDARD: Wie sieht denn der Plan aus?

Evans: Ich hoffe, dass wir im Juni mit den Reparaturen fertig sind und dann gleich mit der Abkühlungsphase beginnen können. Die Maschinen werden dann hoffentlich Ende Juli ihren Betrieb wieder aufnehmen können.

STANDARD: Und wann erwarten Sie die ersten physikalisch verwertbaren Daten aus den Zusammenstößen der beschleunigten Teilchen?

Evans: Ende August, wenn alles gut geht.

STANDARD: Glauben Sie, in Folge dann endlich auch das sogenannte Higgs-Boson zu finden?

Evans: Das Higgs-Teilchen ist der letzte fehlende Baustein in unserem Standardmodell der Teilchenphysik. Es verleiht durch den sogenannten Higgs-Mechanismus allen Elementarteilchen ihre Masse. Das ist die Theorie. Wenn es das Boson nicht gibt, kann man nichts aufspüren. Aber wenn es das Higgs-Teilchen gibt, dann werden wir es finden.

STANDARD: Warum sind Sie da so zuversichtlich?

Evans: Weil der LHC speziell dazu konstruiert wurde, genau dieses Teilchen zu entdecken oder eben nicht. Wenn wir nichts finden, dann haben wir bewiesen, dass das Higgs-Boson eben leider nicht existiert.

STANDARD: Das wäre dann auch ein Erfolg?

Evans: Nein, das wäre eine kaum fassbare Überraschung, für viele sogar eine Katastrophe. Denn dann wüssten wir, dass unser physikalisches Weltbild falsch ist, dann wüssten wir, dass wir überhaupt nichts verstehen.

STANDARD: Wie verstehen Sie sich denn bei diesem Experiment mit den involvierten österreichischen Wissenschaftern?

Evans: Gut. Seit Jahren laufen mit Österreich sehr enge und gute Kooperationen. Österreichische Forscher und Techniker sind stark eingebunden in Design und Konstruktion des LHC und natürlich auch in einzelne wichtige Experimente, die wir mit dem Beschleuniger durchführen. Die Zusammenarbeit mit Österreich erschöpft sich aber nicht im LHC. Mit österreichischen Konstrukteuren und Wissenschaftern arbeitet Cern schon seit mehr als 15 Jahren zusammen, da sind etliche gemeinsame Projekte entstanden. Derzeit arbeiten wir mit österreichischen Forschern beispielsweise am Bau eines medizinischen Beschleunigers für das Austron-Projekt. Und es werden sicher noch etliche Projekte folgen. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2008)