Die 415 von ägyptischen Christen in Alexandria ermordete griechische Philosophin Hypatia in einer Darstellung von 1908.

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Wem gehört die Religionsgeschichte - im Nahen Osten offenbar immer noch nur denjenigen, die sich für die alleinigen Vertreter der jeweiligen Religion halten. Die Rede ist nicht vom Islam, sondern vom Christentum, genauer gesagt von der koptischen Kirche in Ägypten. Sie kiefelt im Moment schwer an einem eigenen Fall von quasi satanischen Versen.

Youssef Ziedan, Professor für islamische Philosophie an der Universität von Alexandria, bekennender Agnostiker, hat sich an einem koptischen Stoff vergriffen. Sein Roman "Azazeel" (ein Name des Teufel) erzählt die Geschichte des Mönches Hypa zu Beginn des 5. Jahrhunderts in Alexandria. Also in vorislamischer Zeit, wobei Ziedan darauf besteht, dass das auch "seine" Geschichte sei, ägyptische Geschichte und Kultur, nicht nur der Kopten.

Hypa ist in die turbulente Zeit der ausgehenden Kirchenspaltungen hineingeboren, ausgelöst durch den Streit über die Natur Christi (stark vereinfacht: göttlich und menschlich oder beides in einem) und den Status von Maria (Gottesmutter oder nur Christusgebärerin). Im Speziellen erlebt er den bitteren Konflikt zwischen Nestorius, Patriarch von Konstantinopel (bis 431, nach dem Konzil von Ephesos des Amtes enthoben), und Kyrill von Alexandria, einer der wichtigsten Gestalten der koptischen Kirche. Hypa - Azazeel ist im Roman sein Gefährte und Diskutant - ist ein von Zweifeln geplagter Intellektueller, der trotz seiner Mönchsprofession allen möglichen Anfechtungen erliegt und auch seinen Kirchenlehrern nicht traut, die es so ganz genau wissen wollen.

Und darauf läuft es auch hinaus: Das große Ärgernis für die koptische Kirche ist, dass Kyrill und seine Anhänger mehr oder weniger als Horde religiöser Extremisten dargestellt werden, die für ihre Doktrin auch über Leichen gehen. Im konkreten Fall über die von Hypatia, einer Philosophin, die an der Schule von Alexandria Platon lehrte und 415 vom christlichen Mob ermordet wurde, in einem statuierten Exempel von Heidenausmerzung, das von späteren koptischen Autoren als Ende der Götzenzeit zelebriert wurde, mit dem die heutige ägyptische Kirche aber nichts mehr zu tun haben will.

Und das alles in einem Land, wo die bösen Fundamentalisten immer nur die anderen sind und waren. Ein Vorwurf gegen den Autor vonseiten der Kopten lautet denn auch, er würde die Geschichte "islamisieren" (was immer das für die Nacherzählung eines vorislamischen Vorfalls heißen mag). Außerdem, so Bischof Bassiut, ergreife Ziedan "Partei für die Häretiker", also Nestorius - denn der Roman lässt natürlich offen, wer "Recht hat". Nur 20 Jahre nach Ephesos, nach dem Konzil von Chalzedon 451, hatten dann ja die Monophysiten, zu denen die Kopten gehören, laut Westkirche aber auch nicht mehr Recht.

Dem Philosophieprofessor Ziedan, dessen Buch jetzt in die 5. Auflage geht, war es aber nach eigener Aussage wirklich kein Anliegen, den Kopten eine Lektion zu erteilen - er will sein Beispiel von allen verstanden wissen: Es sei zu billig, den religiösen Gegner bis in die Vergangenheit hinein einfach immer nur als Schurken darzustellen und die eigenen ideologischen Väter als heroische Gestalten. Und der Zweifel Hypas an seiner Kirche delegitimiert auch nicht gleich die ganze Religion, wie es einige Kopten offenbar verstanden haben.

 

Dass andererseits die Kopten in Zeiten, in denen sie in Ägypten vermehrt über islamistische Übergriffe klagen, besonders sensibel sind, ist keine Überraschung. Aber trotzdem, auch ein Nichtchrist darf sich eines christlichen Stoffs bemächtigen, ohne dass er beschuldigt wird, "sich in christliche interne Angelegenheiten einzumischen". Und den radikalen Islamisten sind die Unterschiede zwischen Nestorianern und Monophysiten sowieso herzlich egal. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2008)