Das Integrationshaus beginnt das 16. Jahr seines Bestehens mit Geldsorgen: Die Arbeit wird mehr, die Mittel bleiben niedrig

Foto: DER STANDARD/Andy Urban

Das Modell des Dachausbaus, wie ihn Architekt Gregor Holzinger plant: nicht als Luxus für Flüchtlinge, sondern als notwendiger Freiraum für teilweise traumatisierte Menschen, die Perspektive und Therapie brauchen

Rendering: Minovsky & Holzinger

Wien - Es muss nicht immer Weihnachtsbeleuchtung sein, um in Feiertagsstimmung zu kommen. Im 20. Wiener Gemeindebezirk ist die Straßenbeleuchtung jahraus, jahrein dieselbe. Dennoch gibt es hier seit wenigen Tagen einen besonderen, noch dazu nachhaltigen Lichtblick: Das Dach des Integrationshauses wird zum Freiraum umgebaut: Freier Himmel für in Wien gestrandete Langzeitmigranten aus aller Welt. Freie Luft mit Blick auf die Stadt für mittellose Asylwerber. Und gerade mitten in Wien. "Welcome to Vienna" heißt die Vision, die nun Wirklichkeit wird.

Motor und Initiator ist US-Starregisseur Peter Sellars, der all seine persönliche Kraft einsetzt für die Verwirklichung einer zukunftsorientierten sozialen Gesellschaft. Gerade Wien, mitsamt seiner spezifischen Geschichte ist für ihn dazu prädestiniert, die Welt darüber aufzuklären, dass heute mehr Menschen denn je auf der Flucht sind. Dass die Flüchtlingsströme stetig wachsen und dass all diese Menschen, die tausende Kilometer reisten, "nur" ihr Leben retten wollten. Getragen seien sie von einem Mut und von Langzeitvisionen, die, sagt Sellars, "für unsere satten, etablierten Gesellschaften beispielgebend" seien.

Begonnen hatte alles im Mozartjahr. 2006 unterrichtete Sellars an der Universität für angewandte Kunst die Vernetzung von Kunst und sozialem Denken. Im Rahmen seines Wiener Festwochen-Schwerpunktes "New Crowned Hope" erarbeitete Sellars mit Studierenden handfeste gesellschaftspolitische Zukunftsideen als Kontrapunkt zur rückwärtsgerichteten Mozarteuphorie. Schon für die Inszenierung "Die Kinder des Herakles", aufgeführt im Parlament, hatte Sellars Flüchtlinge als Darsteller engagiert. Parallel entwickelte er an der Angewandten im Studio von Architekt Wolf Dieter Prix als interdisziplinäres Projekt seinen Lieblingstraum "Welcome to Vienna".

Diplomarbeit aus Leidenschaft

Vor allem einer der Studierenden fing damals Feuer und machte Sellars gesellschaftspolitische Vision zu seinem persönlichen Anliegen: Gregor Holzinger, damals fast noch ein Studienanfänger, ein zurückhaltender27-Jähriger mit getupftem Kopftuch. Selbst den Zivildienst widmete Holzinger dem Integrationshaus, um vor Ort zu erleben, was man bei solch einem Projekt wissen muss. Fazit: Gregor Holzinger machte den Dachausbau des Integrationshauses zu seiner Diplomarbeit. Erfolgreich für sich und erfolgreich für die Idee. Des Starregisseurs scheinbares Wolkenkuckucksheim nahm konkrete Formen an. Inzwischen ist es sparsam, aber perfekt, bis ins Detail durchgeplant.

Ein multikultureller Dachgarten soll entstehen, mit Pflanzen - am liebsten auch mit Erde - aus den Heimatländern der Asylwerber. Konkret als eigener Gemüsegarten, aber auch, so Holzinger, als Platz für allfällige Gartentherapien traumatisierter Flüchtlinge. Ein Fleck Erde, wo der Mensch, der dort mit Pflanzen arbeitet und diese wachsen sieht, im Mittelpunkt steht und so wieder Grundvertrauen in die Zukunft entwickelt. So will es Holzingers Konzept. Und so sieht es auch Peter Sellars: "Greif mit Deinen Händen in schmutzige Erde, und du bist wieder ein Mensch."

Geplant ist zudem ein großer Gemeinschaftsraum unter freiem Himmel, ein kleinerer als Rückzugsort und unter einer schattenspendenden Pergola ein Spielplatz für die Kinder. Auf engem Raum wird hier großzügiger Freiraum geschaffen: für Menschen, die die Straße meiden und schon gar nicht Geld für Fahrten in öffentliche Erholungsräume haben.

Drei Jahre kämpft Peter Sellars für sein "Welcome to Vienna". Die Hälfte der Kosten werden in Absprache mit der Stadt Wien durch das "New Crowned Hope"-Budget abgedeckt. Als private Sponsorin stieg Kunstsammlerin Francesca Habsburg mit ins Boot. Das soziale Konzept und der "schwebende Garten" Holzinger haben es ihr angetan. Es fügt sich günstig, dass der ehemalige Bau aus den 20er Jahren nur ein schlichtes Flachdach hat.

Finanzierung gesichert

Das letzte Loch in der Kasse stopfen nun die, laut Eigendefinition, "Kulturarbeiter" Ingrid und Christian Reder. Bekannt für ihr Engagement in Sachen Zivilgesellschaft sowie als private Förderer vielfältiger sozialer und kultureller Projekte sind sie seit langen Jahren Lehrende an der Angewandten im interdisziplinären Bereich. Beide verbindet mit dem jetzigen Rektor Gerhard Bast die Überzeugung, dass eine Universität für Angewandte Kunst nicht in erster Linie alltagsferne Kunst oder Nobeldesign vermitteln soll. Alle drei propagieren kulturell und sozial wirksame Projekte als Einheit. "Wellcome to Vienna", als geglückte Realisierung einer Diplomarbeit, ist ein Schritt in diese Richtung.

Im Frühjahr 2009 soll der Bau beginnen, im Herbst soll er fertig sein. Rechtzeitig vor dem 15-Jahr-Jubiläum des Wiener Integrationshaus, das 1995 von Willi Resetarits alias Kurt Ostbahn a. D. gegründet wurde. Seit Anbeginn wird in diesem Haus privatisierte Asylpolitik praktiziert. Nun erinnern hier auch heute wieder Privatpersonen Österreichs Innenminister an etwas, das die immer mehr zu vergessen scheinen: An humanes Denken als notwendigen Maßstab für eine stabile Gesellschaft und damit auch für die Politik. (Rubina Möhring/DER STANDARD, Printausgabe, 24.12.2008)