Küsse wie aus alten Filmen: Hugh Jackman und Nicole Kidman trotzen in "Australia"  nicht nur dem Wetter.

 

 

Foto: Centfox

Wien - Kitsch benötigt eine reichhaltige Kultur, auf der er gedeihen kann, auf die er zugreift wie ein gefräßiger Parasit. Er liebt den Exzess, das billige Gefühl, die unhinterfragte Pose - und ist sich immer selbst genug. Das Kino des Australiers Baz Luhrmann scheint auf den ersten Blick wie für diese Definition gemacht. Es einverleibt sich die Stile einer zurückliegenden Ära, um sie - erweitert um ein zeitgenössisches Moment - wieder fröhlich auszuspeien.

Schon in Romeo+Juliet hievte Luhrmann Shakespeare mit Überschwang in die Gegenwart sich bekriegender Jugendbanden, in Moulin Rouge durchtränkte er dann Revuegeist mit Popmusik - und feierte die Illusion des Kinos. Was diese Filme über reinen Kitsch hinaushebt, ist ihr Rest an Aufrichtigkeit. Luhrmann folgt weniger einem kommerziellen Kalkül als seiner Freude an den Mitteln der Überwältigung.

Nun hat Luhrmann einen Film nach einem ganzen Kontinent benannt und mit zwei Filmstars aus seiner Heimat die Hauptrollen besetzt: Nicole Kidman und Hugh Jackman. Australia ist eine Liebesgeschichte, wie sie nur in den staubigen Outbacks aufflammen kann, zu einer Zeit, in der es noch Abenteurer aus der alten Welt dorthin zog. Die britische Lady Ashley kommt auf die Ranch Faraway, um nach ihrem Mann zu schauen, den sie an ebendiesen Pioniergeist verloren hat. Anfangs von der Wildheit dieses Lebens noch befremdet, findet sie allmählich Gefallen daran - vor allem an dem rauen Charme des Cowboys Drover.

Wie sich die beiden von einem zankenden Screwball-Duo zum schmachtenden Liebespaar entwickeln - und dabei nebstbei den Prozess der Domestizierung retrograd durchlaufen -, ist nur einer von mehreren Pfaden durch diesen Film. Luhrmann stellt sein dekoratives Zentrum vor Fototapeten aus - aber er will freilich viel höher hinaus, zu einem All-inclusive-Film, der etliche Genres in sich vereint. Hollywood produzierte sie zu jener Zeit, in der Australia nun spielt: 1939, das Jahr von Vom Winde verweht.

Zum Problem von Australia wird nicht unbedingt seine Unersättlichkeit, die Lust, sich beim Western, dem Melo, ja sogar beim Kriegsfilm zu bedienen. Doch der Film müsste mehr von dem Pathos einlösen, das er verspricht. Ashley treibt gemeinsam mit Drover und ein paar weiteren Bediensteten eine Viehherde von 1500 Rindern durch unwirtliches Terrain in die Hafenstadt Darwin, um sie als Erste den kriegsführenden Briten zu verkaufen - eine Pikareske, die den halben Film ausfüllt, doch wenig Eigensinn entwickelt und trotz des Aufwands etwas farblos bleibt.

Vernünftige Rinder

Luhrmann dreht bloß oft die Lautstärke hoch. Er lässt die Kamera wie einen Vogel kreisen oder treibt mit computergeneriertem Schabernack Rinder zur Vernunft - lauter Mittel, die dem Geschehen äußerlich bleiben. Auch die heterogenen Bestandteile des Films fügen sich nicht zwingend ineinander. So kommt die politische Dimension etwa durch einen Perspektivwechsel ins Spiel. Die Geschichte wird aus der Sicht eines "Bastards" , des Buben Nullah (Brandon Walters), erzählt, dessen Tonfall penetrant naiv bleibt - vergleichbar dem Onkel-Tom-Image von Afroamerikanern aus frühen Hollywoodfilmen.

Halb Aborigene, halb Weißer lebt er immer in Gefahr, aufgegriffen zu werden, um in eines der berüchtigten Missionierungslager gesteckt zu werden - ein Gewaltakt gegenüber der indigenen Bevölkerung, für den sich die australische Regierung erst dieses Jahr offiziell entschuldigt hat. Nullah steht so auch für das Gewissen seines Landes und macht den Unterschied zwischen seiner guten Ersatzmutter, Ashley, und den skrupellosen Viehbaronen immer ein wenig deutlicher, als er sein müsste.

Alle diese politischen (und stilistischen) Differenzen zu überwinden ist Luhrmanns Anliegen, mit einer Emphase, die er aber nie ganz richtig trifft. Die Geburt einer Nation kommt für ihn in dem Moment, in dem ein jeder seine Rolle heroisch annimmt. Im Finale des Films, einem Bombengewitter des Zweiten Weltkriegs, wird dann mit großem Tamtam die Neuerfindung Australiens verkündet. Es ist ein weiter Weg dorthin - und nicht jeder hat einen Magier zur Hand, der einen durch die ein oder andere Wüste führt. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.12.2008)