DER STANDARD

"Streetstyle Blogs"

Was gibt es Schöneres, als in einer der Metropolen der Welt in einem Café am Boulevard zu sitzen und möglichst unbeachtet und ungeniert das Outfit der Menschen zu studieren, die da vorbeiziehen?

Dieses Vergnügen ermöglicht ganz ohne Reiseaufwand schon am morgendlichen Frühstückstisch daheim eine wachsende Zahl von Fashion-Blogs. Allerdings zeigen sie nicht die teuren und nur von Models tragbaren Entwürfe der Schneider aus Mailand, Paris, London oder Tokio: "Streetstyle Blogs" gehen auf die Fotojagd nach dem Chic der Straße, nach den alltäglichen Moden, die in Stockholm und München, in Wien und New York, im Harajuku-Viertel in Tokio oder in der City von London getragen werden.

Allegorie

"Leuten auf der Straße zuzuschauen ist eine perfekte Allegorie dafür, was es bedeutet, durch das weltweite Web zu browsen", schreibt die New Yorker Modekritikerin Virginia Heffernan. Selbstbewusst präsentieren sich hier - meist junge - Menschen dem Blick der Kamera der Blogger: Keine gestohlenen Aufnahmen, sondern offenbar erbetene und gewährte. Wer sich gut anzieht, will auch gesehen werden, in einer anonymen Beziehung zwischen Betrachter am Bildschirm und Betrachtetem in irgendeiner Stadt der Welt.v Die Streetstyle Blogs zeigen auch, dass unsere globalisierten Städte alles andere als gleich sind: Die farbenfrohen Moden stolzer Spaziergänger aus Stockholm; die unglaubliche schöpferische Vielfalt, wie Musliminnen Kopftuch und Make-up anlegen; teils dandyhafte, teils wilde Selbstinszenierungen in London, Es sind "Feel-good"-Bilder: Menschen in ihrem "natürlichen Habitat" (Heffernan), die durch ihre Inszenierung grauen Großstadt-Alltag in eine bunte Bühne verwandeln und damit dem Betrachter auch die Augen für die Schönheit um uns öffnen.

The Sartorialist

Ein Pionier und Vorbild vieler Streetstyle-Blogs ist der von Scott Schuman gegründete "The Sartorialist" aus New York. Während die meisten anderen Blogs vor allem jugendliche Moden zeigen, widmet sich der Sartorialist erwachsener Eleganz, vor allem guter Männerkleidung - selbst wenn die Träger Glatze und Übergewicht haben. 15 Jahre lang arbeitete Schuman als Verkäufer bei Top-Modelabels: "Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem, was ich im Showroom verkaufte, und was wirklich coole Leute im richtigen Leben anzogen", erklärt er sein Gründungsmotiv. Time zählt ihn inzwischen zu den 100 einflussreichsten "Design Influencers", und bei etablierten Modemagazinen ist Schuman regelmäßiger Autor.

Geldfrage

"Ich habe mehr Schuhe als meine Frau und meine Kamera immer mit", beschreibt sich der Autor von Styleclicker, ein Münchner Streetstyle-Blogger, das in dem von dem Kanadier Darryl Natale veranstalteten internationalen Wettbewerb "Street Clash" gewonnen hat. "Normale Leser von Modemagazinen haben gar nicht das Geld, sich Designer-Labels zu leisten. Im Gegensatz dazu ist Streetstyle-Mode für Menschen", sieht Natale den Grund für die wachsende Popularität der Blogs in einem Interview mit dem Jugendmagazin Jetzt.de der Süddeutschen Zeitung. "Noch dazu geht es um Aktualität: Mode-Kollektionen werden ein Jahr vor der Saison gezeigt, dagegen passiert die Mode auf den Streetstyle-Blogs in Echtzeit." (Helmut Spudich, DER STANDARD/Printausgabe, 27.12.2008)