Jerusalem - Die Hamas wurde von dem israelischen Luftangriff am Samstag um 11:30 Uhr Ortszeit an etwa 50 verschiedenen Orten gleichzeitig völlig überrascht. Noch am Morgen hieß es, dass sich die radikal-islamische Organisation einen Angriff der Juden an ihrem heiligen Ruhetag, dem Sabbat, nicht vorstellen konnte. Doch diese verfehlte Vorstellung allein hätte nicht ausgereicht, um die Hamas in unverantwortlicher Sicherheit wiegen zu lassen.

Wie Verteidigungsminister Ehud Barak am Samstag berichtete, habe Israel eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Hamas in Sicherheit zu wiegen. Das Kabinett hat angeblich schon am vergangenen Sonntag einer Militäroffensive gegen die Hamas zugestimmt. Am Mittwoch habe das Sicherheitskabinett dann den Termin für den Angriff festgelegt. Am Donnerstag reiste Außenministerin Zipi Livni nach Kairo und redete mit Präsident Hosni Mubarak. Israelische Korrespondenten erklärten, dass ein unmittelbarer Angriff im Gazastreifen "undenkbar" sei.

Mubarak eingeweiht?

Israel könne es sich nicht leisten, Präsident Mubarak bloßzustellen und den Eindruck zu erwecken, als hätte Ägypten dem israelischen Einmarsch zugestimmt. Was Livni und Mubarak tatsächlich besprochen haben und ob Mubarak doch in die israelischen Pläne eingeweiht wurde, ist unbekannt. Auffällig war jedoch das schweigende Wegschauen des ägyptischen Außenministers Abdul Reid, als Livni bei der gemeinsamen Pressekonferenz erneut der Hamas mit einem Militäreinsatz drohte.

Am Donnerstag gab Ministerpräsident Ehud Olmert dem arabischen Fernsehsender Al Arabija ein Exklusivinterview. Darin flehte er die palästinensische Bevölkerung an, der Hamas zu sagen, sie möge den Raketenbeschuss auf Israel stoppen. Zwar drohte Olmert auch mit der Militärkraft Israels und der Möglichkeit von tausenden unschuldigen Opfern. Doch klang dieser Aufruf nicht so, als wollte Israel schon zwei Tage später losschlagen. Zugleich hieß es, dass das israelische Sicherheitskabinett am Sonntag zusammentreten werde, um über Lage in Gaza zu "beraten" und dann "Beschlüsse zu fassen". Wegen dieser Erklärung glaubte die Hamas offenbar, dass vor Sonntag nichts passieren könne. Manche Nachrichtenagenturen machten daraus eine "Bedenkzeit" und später dann sogar ein "Ultimatum" Israels an die Hamas.

Ultimatum

In Israel selbst war freilich nichts bekannt über ein solches Ultimatum. Am Freitag gab Verteidigungsminister Ehud Barak "dem Druck der internationalen Gemeinschaft" nach und stimmte einer friedlichen "Geste" zu, obgleich die Hamas weiter Raketen auf Israel verschoss. Barak öffnete die Grenzübergänge und ließ Hilfskonvois nach Gaza rollen. Zudem wurden Kochgas und riesige Mengen Schweröl für den Betrieb des Kraftwerks nach Gaza gepumpt.

Am Samstag in der Früh meldete sich Staatspräsident Shimon Peres zu Wort. Wie üblich redete er von seinem erträumten "neuen Nahen Osten" und dass der Frieden in Nahost "greifbar nahe sei". Schon in drei Jahren werde die Region "ganz anders aussehen". Der israelische Rundfunk berichtete über diese Friedenszuversicht des Staatspräsidenten genau eine Stunde vor dem Überraschungsangriff.

Seit Anfang der Woche kamen die Hamas-Führer wieder aus ihren Verstecken. Sie ließen sich wieder per Handy interviewen, was in Krisenzeiten lebensgefährlich wäre. Der israelische Geheimdienst hat offenbar die Möglichkeit, die prominenten Handybesitzer exakt zu orten und dann schlimmstenfalls gezielt zu töten.

Der Höhepunkt der Fahrlässigkeit der militärischen Führung der Hamas war die Entscheidung, am Samstag in der Früh einen Offizierskurs mit einer Zeremonie und Parade in einem der Trainingszentren feierlich abzuschließen. Selbstverständlich waren bei der Zeremonie auch einige der Befehlshaber der Hamas-Kämpfer anwesend. Am Samstag um 11:30 Uhr waren die meisten von ihnen tot, darunter auch die Befehlshaber, von denen drei inzwischen namentlich bekannt sind.  (Von Ulrich Sahm/APA)