Dass Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Sonntag ziemlich unverblümt der Hamas die Verantwortung für die seit Samstag andauernden israelischen Militärschläge zusprach, das können auch die lautesten Proteste gegen den Angriff nicht übertönen. Niemand von denjenigen, die jetzt gegen den neuen "Genozid" mobilisieren, auch in Österreich, thematisiert das. Aber es zeigt besser als alles andere die ganze Komplexität, das Elend dieses Konflikts, dem wieder nicht nur in diese Eskalation Verstrickte, sondern auch völlig Unbeteiligte zum Opfer fallen. Von der Hamas in Geiselhaft gehalten, von Israel zum Kollateralschaden degradiert, treten die Menschen im Gazastreifen in eine weitere Phase ihres Leidenswegs ein.
Der Angriff am Samstag kam überraschend, war jedoch, glaubt man den israelischen Medien, bereits eine entschiedene Sache, als am Freitag von einem Ultimatum bis Sonntag die Rede war. Jetzt kann man auch die am Freitag von Israel erlaubte Notversorgung der Bevölkerung von Gaza besser einordnen. Und die Offensive war offenbar seit mehr als sechs Monaten - also den Zeiten, als der Waffenstillstand ausgehandelt wurde - in Vorbereitung.
Nüchtern betrachtet haben beide Seiten in den vergangenen Monaten das Gleiche getan: Si vis bellum para bellum, heißt es im Nahen Osten, dort wird der Krieg vorbereitet und dann auch gemacht, begleitet von den immergleichen Schwüren von Recht und Gerechtigkeit, ebenfalls auf beiden Seiten. Wobei die Sache aber keineswegs symmetrisch ist, wie die Opferzahlen zeigen.
"Problem endgültig gelöst"
Bei der Massivität der Luftschläge seit Samstag konnte es nicht ausbleiben, dass Parallelen zum Libanon-Krieg Israels von 2006 gezogen werden. Wie damals geht es vordergründig nicht gegen die Menschen und ihr Territorium, sondern nur gegen "Terroristen". Wobei die israelischen Vorbereitungen am Boden und die Einberufung von Reservisten glauben machen könnten oder sollen, dass auch diesmal das "Problem endgültig gelöst" werden soll. Das ist gleich ein zweifacher Zynismus, einerseits wegen des Leids der Menschen in Gaza, zweitens weil man ja eines der Resultate des Libanon-Kriegs kennt: den politischen Aufstieg der Hisbollah.
Aber es stimmt, dass die Nordgrenze Israels heute viel ruhiger als 2006 ist - nur eben nicht, weil Israel militärisch so erfolgreich war, sondern aus innenpolitischen libanesischen Gründen. Vielleicht kommt es ja auch nach diesem neuen Krieg zu solchen paradoxen Folgen, denn natürlich liegt der Schlüssel - siehe oben - auch in einer innerpalästinensischen Verständigung.
Internationales Verständnis wird bald aufhören
Sonst bleibt im Moment nur zu hoffen, dass, wie der israelische Linkspolitiker Yossi Sarid in Ha'aretz schreibt, "wir diesmal wissen, wann wir aufhören müssen". Wie 2006 beim Libanon-Krieg wird in den meisten (unparteiischen) internationalen Reaktionen Israel zwar für exzessive Gewalt zumindest implizit kritisiert, aber gleichzeitig der Notlage durch den ständigen Raketenbeschuss auf israelisches Gebiet Rechnung getragen.
Der Punkt, wo das internationale Verständnis aufhört, wird schnell kommen. Eine zu zerstörende "Infrastruktur", ein Lieblingswort in der Kriegsführung, ist immer auch eine zivile. Es ist aber neben der humanitären vor allem immer wieder auch eine Frage der Sinnhaftigkeit. Auch wenn man, wie ein israelischer Armeekommandant sagt, den Gazastreifen "zehn Jahre zurückwerfen" wird, was die Waffenkapazitäten anbelangt, eine Bewegung wie die Hamas lässt sich nicht wegbomben. Und wenn die Israelis tatsächlich den Gazastreifen wiederbesetzen würden: Was tun sie dann damit? Aber in Vorwahlzeiten besteht eben immer die Gefahr, dass das strategische Denken genau bis zum Wahltag reicht. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Printausgabe, 29.12.2008)