Bordin: So, hier geht's los. Und gleich die Saliera ... Aber nein, das ist ja die Vitrine des Shops. Ja, dieser Raub war ja durch das Happyend besser als jeder PR-Gag.
Standard: Antike Dramen sind bevölkert von mythologischen Figu-ren ...
Bordin: Die Tragödie zieht ihre Inhalte aus der Mythologie und der Geschichte. Aischylos, Euripides und andere haben aus diesen Grundlagen literarische Werke gemacht. Während die Komödie alles selbst erfindet - siehe Aristophanes. Das ist der riesige Kontrast.
Standard: Wir betreten den ersten Saal und stehen vor dem "Haupt der Medusa" - leider nicht komödientauglich.
Bordin: Die Exponate hier sind keine original antiken Objekte, sondern stammen vorwiegend aus dem 16./17. Jahrhundert, als die Antike mit Leidenschaft wiederentdeckt wurde. Hier entschied man sich offensichtlich vor allem für die Meister der Renaissance.
Standard: Die Mythologie ist auch in der Sprache verankert.
Bordin: Kaum schlägt man die Zeitung auf: "Sisyphos-Arbeit" , "sporadisch" - die Sporaden sind vereinzelt liegende Inseln in der Ägäis - oder "Herkules-Arbeit" . In den modernsten Wortschatz hat es der Computer- "Trojaner" geschafft.
Standard: Hier ein flämisches Gemälde "Apelles malt Kampaspe" (um 1600).
Bordin: Apelles ist eine historische Gestalt. Er war Hofmaler bei Alexander dem Großen. Nun ja, er malt seine Geliebte à la Venus, so haben sie es sich halt vorgestellt, und es war ganz sicher nicht so.
Standard: Die Ästhetik ist eine ganz romantische.
Bordin: Es ist auch die Zeit, in der Andrea Palladio das überbordende Teatro Olimpico in Vicenza gebaut hat, um die Tragödien wieder im originalen Rahmen aufzuführen.
Standard: Die Bilder sind sehr freizügig: "Jupiter und Callisto" oder "Bogenschnitzender Amor" .
Bordin: Es war ein Ausbruch nach der Zeit des Mittelalters, in den Bildern manifestiert sich ganz klar der Drang nach sexueller Freiheit.
Standard: Diese Bilder hingen an europäischen Fürstenhöfen ...
Bordin: ... und sie hängen heute noch im Vatikan! Vieles wurde im Zuge der Durchsetzung des Christentums zerstört. Aus dem Marmor der Tempel hat man Kirchen gebaut. Anstatt dort eine Leber oder andere Eingeweide zu opfern, hat man halt eine Kerze angezündet.
Standard: Ist hygienischer.
Bordin: Und es hat mehr geleuchtet! Wobei zum Beispiel Weihrauch übergreifend ist: Mystische Dämpfe gab's auch schon beim Orakel in Delphi. Interessant ist, dass ein Komponist wie Manos Hadjidakis für seine Vertonung der Vögel des Aristophanes sehr viele Elemente aus der orthodoxen Liturgie verwendet hat. Das heißt, er hat Christliches mit Vorchristlichem verbunden.
Standard: Weiter zu "Bacchus/Dionysos und Ariadne" .
Bordin: Da gibt es divergierende Versionen, warum Theseus seine Heldin Ariadne, durch deren berühmten Faden er wieder aus der Höhle des Minotaurus herausfand, auf einer Insel einfach zurückließ: Entweder war Theseus so gemein, oder Dionysos hat es so gesteuert, damit er die Dame für sich hat. Das ist das Schöne an der Mythologie, dass man sich die Interpretation aussuchen kann, die einem am besten passte.
Standard: Selbst im Gesichtsausdruck des Bacchus von Hans von Aachen um 1600 ist ein Spielraum angelegt: ein teuflischer Blick, aber dennoch kein Übel wollend.
Bordin: Dionysos hat eben eine besondere Wirkung. Niemand hat den Traum mit Gott so schön geträumt wie die alten Griechen! Diese Götter waren sehr menschlich. Sie hatten ihre Macken, Capricen, allzu menschliche Fehler, Rache, Übermut. Es war eine freie Zeit!
Standard: Angenehm auch, dass sie mehrere waren.
Bordin: Ja! Man konnte noch auswählen! Der eine war schuld, aber der andere hat doch geholfen.
Standard: Der Mythos verklärt dadurch auch.
Bordin: Natürlich - siehe die Mythen um Stars. Oder wenn man einen alten Film sieht, der in der Erinnerung noch besser war, als er eigentlich ist. Das ist vermutlich auch der Gedanke dieser Ausstellung, dass auf der Suche nach Idealen die Mythen wiederentdeckt wurden. Da fällt mir eine Aufführung von Aristophanes' Lysistrata im Theater von Epidauros ein. Manos Hadjidakis (er bekam für Ein Schiff wird kommen den Oscar), hat die Antikriegskomödie vertont. Und dieses Anfangslied - "Ich werde euch einen Mythos erzählen, aus lang, lang vergangener Zeit ..." , kann heute jedes Kind in Griechenland auswendig singen. Dabei ist der Text selbst schon zweieinhalb Jahrtausende alt!
Standard: Bacchus ist einer der beliebtesten hier.
Bordin: Nun ja, es war die Hochblüte der großen Fürstenhäuser. Ich glaube, dass die ganz schön gefeiert haben. Nur wollten sie das nicht so zeigen bzw. mit dem Mythos abklären - ein Schnappschuss von der letzten Party gewissermaßen.
Standard: Sie sollten auch ein Bacchanal in Carnuntum veranstalten.
Bordin: (lacht) Da würden wir den Fremdenverkehr dann im wahrsten Wortsinn ankurbeln.
(Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 30.12.2008)