Weihnachten ist traditionell die Zeit, in der sich die Menschen mehr als sonst auf Kitsch und Kirche besinnen. Heuer war es nicht anders. Der Kardinal von Wien kam aus dem Interviewtwerden gar nicht mehr heraus, richtig hektisch muss es in dieser Zeit der Stille für ihn gelaufen sein. Eine synoptische Fassung der Predigten, die er den Schlange stehenden Journalisten gehalten hat, würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, aber die übliche Unzufriedenheit mit einigen gesellschaftlichen Erscheinungen war fast allen Wortspeisungen gemein. Allmählich erreicht auch die homiletische Ausgestaltung seiner Interviews die Qualität neurolinguistischen Programmierens. So wenn er in der Wunschliste des Kardinals, die er im "Kurier" vom 24. Dezember deponiert hat, beteuerte: Keinesfalls wollte ich meinen verehrten Vorvorgänger Kardinal König und die Bischöfe von damals einer Haltung der Untreue gegenüber dem Evangelium zeihen - nachdem er ihnen in seiner Jerusalem-Predigt ausdrücklich Sünde vorgeworfen hatte. Im Standard wurde er den gehobenen Ansprüchen beim Thema Sünde mit einer subtileren Formulierung gerecht: Ich bitte Sie, mich nicht auf dieses Wort zu fixieren. Es hat einen ganz bestimmten Platz in einer ganz bestimmten Situation gehabt.

Noch überzeugender, warum man ihn nicht auf dieses Wort fixieren sollte, kam er mit dem Hinweis rüber: Meine Äußerungen in Jerusalem waren ursprünglich ja nicht für einen öffentlichen Kreis bestimmt. Also kann man ihm nur beipflichten: Wenn er schon ein Wort gebraucht, das nicht auf jene gemünzt ist, auf die es zielt, und das auch nur in einem privaten Kreis, dann ist es nur unverschämt von der Presse, ihn partout darauf fixieren zu wollen. Dass er die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs zunehmend im Kontext der demografischen Explosion und kaum noch im Kontext der Sünde beklagt, und das - wieder im "Kurier" - unter Berufung auf einen unverdächtigen Zeugen wie Carl Djerassi, ist ein weiterer Beweis, wie ungerecht es wäre, ihn auf dieses Wort zu fixieren. Wenn sogar der Erfinder der "Pille" sagt, dass in Österreich drei Kinder pro Familie notwendig wären, um die Bevölkerung zu halten, hat er es endlich vom Pillenvater zu einem Kronzeugen der Kirche geschafft, weshalb sein demografisches Wort problemlos als Hirtenwort herhalten kann.

Tröstliches hatte der Kardinal hingegen, und das kann kein Zufall sein, für seine Stammleser in der "Kronen Zeitung" parat. Die erfuhr schon am 25. Dezember: Weihnachtsfest wurde Rückkehr zu den wahren Werten. Und: Weihnachten 2008 ist wieder zu einem Fest der Besinnung geworden. Der Anlass auch zu dieser Meldung lag im scharfen Auge des Oberhirten. "Ich beobachte in den vergangenen Wochen, dass viele Menschen stärker über beständige Werte wie Familie und Kirche nachdenken, stellte der Kardinal im "Krone"-Gespräch fest. Konnte er die Ursache dieser inneren Ein- und Umkehr auch nicht im Spirituellen erkennen - viele kleine Sparer sind direkt oder indirekt von der Wirtschaftskrise betroffen -, sah er doch Grund zu Hoffnung: "Man wirft der Kirche immer vor, zu konservativ zu sein. Jetzt plakatieren sogar Banken, konservativ anzulegen." Man darf daher auch sie nicht auf das Wort Sünde fixieren, selbst wenn 's schwerfällt.

Der Wiener Konkurrent des Kardinals in puncto Publicity war geschickter, wo es galt, der Fixierung auf die Sünde auszuweichen. Hausbesuch, konnte "Live", seit Weihnachten das Star-Magazin der Krone, verkünden. Dompfarrer Toni Faber gewährt Marga Swoboda ganz persönliche Einblicke in seine Dachwohnung. Wer wollte fixiert an Sünde denken, wenn Frau Swoboda auf Besuch kommt? Schöner wohnen, sagt der Dompfarrer, muss keine Sünde sein. Wäre in seinem Fall auch unmöglich, ist er doch rundum beschützt von einer Heerschar von Engeln. Aus Wachs, aus Porzellan, aus Holz, aus Glas und Papier. Es ist eben eine schlaue Wohnung mit Kunst, Kitsch und einer Küche zum Ausklappen. Schlau auch insofern: Christus ist immer mit ihm. Auch wenn er einmal auf ein Bier und ein gutes Wort ins Haas-Haus hinübergepfiffen wird.

Nur einer sieht in der Kirche keine Rückkehr zu den wahren Werten: Andreas Unterberger. Auf der Rechten kämpfen verklemmte Inquisitoren primär dafür, dass die Liturgie nur ja verstaubt bleibt. Auf der Linken agieren aus dem Kirchenbeitrag finanzierte Institutionen (wie die Sozialakademien) als letzte Hochburg kommunistischer Ideen. Der Prediger hat den absoluten Durchblick: immer fixiert auf die Sünde - der anderen. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 30.12.2008)