Verschiedene Gremien fühlen sich berufen, alljährlich das Unwort des Jahres zu verkünden. Abgesehen davon, dass "Unwort" selber schon ein Unwort ist, fällt die Wahl nicht immer glücklich aus. Diesmal war es "Lebensmensch". Den Ausdruck hat seinerzeit Thomas Bernhard erfunden, für eine ältere Gönnerin, die ihn viele Jahre lang begleitete und förderte. Kein schlechter Begriff eigentlich, wenn man jemanden definieren will, auf den weder das Wort Freund noch das Wort Partner richtig passt.

Die Wahl zum Unwort 2008 verdankt "Lebensmensch" vermutlich der Tatsache, dass der BZÖ-Funktionär Stefan Petzner nach Jörg Haiders Tod diesen so bezeichnete und dabei vor laufender Kamera Tränen vergoss. Viele fanden das offenbar komisch oder verächtlich. Mir scheint von all den vielen BZÖ-Unsäglichkeiten diese die geringste. Dass ein junger Mann beim Tod seines geliebten Mentors weinen muss, finde ich verzeihlich, sehr viel verzeihlicher jedenfalls als der Geistesblitz desselben Herrn "Kärnten muss einsprachig werden". Diese Unwort-Wahl schmeckt ein bisschen nach einer problematischen Art von homophobem Humor.

Ursprünglich hatte die Unwort-Idee einen anderen Sinn. Es sollte ein Wort herausgegriffen werden, das derart abgenutzt, zum Klischee erstarrt und in den Medien zu Tode geritten war, dass man es schon nicht mehr hören konnte. Da fallen mir gleich mehrere Exempel ein. Wie wäre es zum Beispiel mit "Konjunkturpaket schnüren"? Wenn eine Regierung Maßnahmen trifft, um die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen anzuregen, dann fällt wie das Amen im Gebet das Wort Konjunkturpaket. Und was macht man mit so einem Paket? Bringt man es auf den Weg, beschließt man es, verabschiedet man es? Nein, man schnürt es. Der Satz schreibt sich gleichsam von selbst.

Oder das Wort "Kult". Kult sind nicht nur jede bessere Popband und jeder angesagte (auch so ein Wort) Film, sondern auch Restaurants, Handtaschen, Vorspeisen, T-Shirts und Urlaubsorte. All das, so könnte man ableiten, wird angehimmelt, sammelt verzückte Anhänger um sich, gewinnt religiöse Bedeutung. Ähnliches gilt für "Ikone". Sängerinnen sind Ikonen, Fußballer, Werbefotos. Und zum "Urgestein" wird jeder Politiker, der längere Zeit bei einer Partei gedient hat.

Irgendeinmal wurden diese Wörter erstmals, wie andere auch. von einem Journalisten gebraucht, der originell sein wollte und eine treffende Metapher suchte. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur schlug die Metapher allzu gut ein. Andere bedienten sich ihrer, bald fand sie sich überall und zunehmend auch dort, wo sie nicht hinpasste. Unwörter sind Produkte journalistischer Faulheit. Wuchern sie ungebremst, machen sie früher oder später die Mediensprache kaputt.

In der jüngeren Vergangenheit war "Gutmensch" ein Unwort des Jahres. Auch die Wörter "betroffen" und "hinterfragen" wurden gewählt. Insofern sind die Unwort-Wahlen auch ein Spiegel der Gesellschaft. Irgendwann hatte man genug gehabt von den allgegenwärtigen Gutmenschen, die ständig betroffen waren und alles hinterfragten. Heute, so scheint es, gibt es eher zu wenige von der Sorte. (BARBARA COUDENHOVE-KALERGI/DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2008/1.1.2009)