In Gaza explodieren Granaten und die Welt schickt Worthülsen. "Unverhältnismäßig" sei Israels Offensive, kritisieren UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy. Sie haben gut reden. Denn die Frage, wie wohl Frankreichs Reaktion ausfiele, wenn etwa aus dem Baskenland über mehr als drei Jahre täglich im Schnitt sechs Raketen oder Granaten auf französische Orte abgeschossen worden wären, müssen sie nur theoretisch beantworten.

Dass der seit Monaten absehbare Krieg zwischen Israel und der Hamas offen ausgebrochen ist, ist politischem Versagen geschuldet. Man kann es nicht nur Jerusalem anlasten. Wozu gibt es ein Nahost-Quartett, die UN, die Arabische Liga und all die anderen Organisationen, die die Lösung des Nahostkonflikts ständig zur Priorität erklären? In Wahrheit fällt ihnen, wenn es drauf ankommt, nichts ein, außer eine Seite zum Einlenken zu überreden. Und diese Seite ist Israel, weil von den Palästinensern seit Oslo 1992 keinerlei Konzessionen überliefert sind - es sei denn, man bezeichnet den Verzicht auf das In-die-Luft-Sprengen von Linienbussen als Konzession.

Die Hilf- und Konzeptlosigkeit kommt in der geradezu grotesken Formulierung von einer "verhältnismäßigen" Reaktion zum Ausdruck. Was soll das sein? War es verhältnismäßig, Gaza mit stillschweigender Billigung Ägyptens aushungern zu wollen? Wäre es verhältnismäßig gewesen, wenn Israel 7000 Raketen wahllos in den Gazastreifen gejagt hätte - also die dieselbe Anzahl von Geschoßen, die seit dem Rückzug 2005 auf israelischem Boden niedergingen? Hätte Israel die Raketen auf Tagesrationen verteilen müssen? Ist es unverhältnismäßig, stattdessen so exakt wie möglich Raketen dorthin zu schießen, wo die Ursache des Gaza-Problems zu finden ist: auf alles, was die Hamas braucht, um ihre Macht zu halten?

Denn die Macht der Hamas ist das Problem. Das wissen selbst all jene arabischen Politiker, die sich nun lautstark empören müssen. Insgeheim hoffen nicht zuletzt sie, dass Israel den Islamisten eine Lektion erteilen möge. So verfahren ist die Lage in Nahost. - Israel hat diesen Krieg nicht begonnen. Es hat sich 2005 ohne Gegenleistung aus Gaza zurückgezogen. Als Reaktion darauf wird das Land seitdem von dort angegriffen. Keine Organisation der Welt unternimmt etwas dagegen, dass - wie mancherseits gern betont wird - "selbstgebaute" Raketen fliegen. Das klingt, als frönten da Halbstarke ihrer Bastelleidenschaft. Spätestens der Vorfall vom vergangenen Freitag, als eine solche Rakete im Norden zwei palästinensische Mädchen tötete, sollte die ständige Verharmlosung der Bedrohung beendet haben.

Verschärft hatte sich die Situation, als Washington Israel nötigte, die Hamas zu den palästinensischen Wahlen zuzulassen und die Islamisten sich 2007 in Gaza an die Macht putschten. Die Blockade war eine Reaktion auf diese Entwicklung, nicht ihre Ursache.

Israel ist am Wochenende aktiv in einen Krieg eingetreten, den es militärisch nur vielleicht, moralisch aber auf keinen Fall gewinnen kann. Denn es wird Opfer geben, die es nicht geben darf: Frauen, Kinder, Zivilisten. Und es wird, je länger die Offensive dauert, jene Propaganda-Bild-Maschine heißlaufen, auf die sich Organisationen wie die Hamas meisterhaft verstehen. Deren Kämpfer verbergen sich in zivilen Einrichtungen, schaffen damit zivile Opfer und schlachten sie mithilfe unwissender oder eingeweihter Kamerateams öffentlich aus, um am Ende selbst als Opfer dazustehen. Diese Beschreibung mag zynisch klingen. Doch der Zynismus ist nicht auf der Seite jener, die diese Strategie beschreiben, sondern auf Seiten derer, die sie betreiben.

Aber wenn all dem so ist - warum führt Israel dann Krieg? Die Antwort ist zum Verzweifeln einfach: Es sieht keine andere Option.

Solange die Hamas stark ist, erfüllt sie das alles entscheidende Kriterium für Frieden nicht: Sie müsste das Existenzrecht des Staates Israels vorbehaltlos anerkennen. Ab da wäre alles andere verhandelbar. Israel will die Hamas mit Gewalt zwingen, sich in diese Notwendigkeit zu fügen. Denn dass man Frieden nur mit seinen Feinden machen kann, ist zwar ein schönes Sprichwort. Aber die Geschichte kriegerischer Konflikte zeigt, dass die meisten Feinde besiegt werden müssen, bevor sie zum Frieden bereit sind.

Wer nicht nur Ruhe vor schlimmen Bildern haben will, sondern auf Frieden im Nahen Osten hofft, der muss darauf hoffen, dass die Hamas ihre Macht verliert. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2008/1.1.2009)