Die Wissenschafter Günter Resch (links) und Thomas C. Marlovits präsentieren das Transmissionselektronenmikroskop, das den klingenden Namen "Polara" trägt.

Foto: René van Bakel

Die schockgefrorenen Proben werden hier mit noch nicht da gewesener Präzision durchleuchtet.

Foto: René van Bakel

Eine graue, flimmernde Suppe. Eine paar verstreute, dunklere Strukturen. Der Laie sieht auf einer einzelnen Aufnahme des neuesten Transmissionselektronenmikroskops am Vienna Biocenter so gut wie gar nichts. Und auch die Wissenschafter müssen angesichts solcher Bilder eingestehen: "Wir haben hier ein schlechtes Signal-Rausch-Verhältnis der Bilder", sagt zum Beispiel Thomas C. Marlovits, Gruppenleiter am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) und am Institut für Molekulare Pathologie (IMP). Der Wissenschafter und sein Team zählen zu den "Hauptmietern" des Mikroskops, das seit Februar 2008 in einem kleinen, von äußeren Einflüssen wie auch von Lärm völlig abgeschotteten Raum steht und die Typenbezeichnung FEI TF30 Polara trägt.

Marlovits spricht von einem Mikroskop, das als "eines der fortschrittlichsten Abbildungssysteme weltweit" gilt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Proben, isolierte Moleküle oder Zellen, werden auf -180 Grad Celsius schockgefroren, bis die dünne Wasserschicht kristallfrei erstarrt. Auf der Probenbühne können sie in "natürlicher, wasserreicher Umgebung" untersucht werden.

In herkömmlichen Abbildungssystemen mussten die Wissenschafter die Proben mit einer Salzlösung "kontrastieren", um sie sichtbar zu machen. Marlovits: "Dadurch betrachtet man aber eigentlich nur die 'Salzhaut', nicht das Molekül selbst."

Niedrige Dosis

Mit dem "Polara" und der in Österreich neuartigen Methode könne man endlich ins Innere der Probe vordringen. Allerdings sei Vorsicht geboten, wie der Molekularbiologe Günter Resch erzählt, der sich seit zehn Jahren mit dieser Form der Mikroskopie beschäftigt und die zwei Millionen Euro teure Errungenschaft von IMBA und IMP nun wartet. Die Wissenschafter müssen die Strahlendosis sehr niedrig halten, ansonsten wäre das biologische Material sofort kaputt. Durch die niedrige Dosis entstehe aber genau das schlechte Signal-Rausch-Verhältnis. Um trotz der rauschenden Einzelbilder zu einem verwertbaren Ergebnis zu kommen, "und zwar zu einem besseren als wir es mit Vorläufern dieses Mikroskops erhalten haben" (Resch), werden von den identischen Molekülen in einer Probe zahlreiche Aufnahmen gemacht.

Die zweidimensionalen Projektionen werden dann "aufeinandergelegt", so wie es bei Teleskopaufnahmen aus dem Weltall geschieht. Das Bild wird kontrastreich und mittels komplexer Algorithmen zu einer 3-D-Aufnahme umgerechnet. "Es ist so, als würden wir einen Menschen viele Male von vorne, oben, unten und hinten aufnehmen und diese Bilder zusammenfügen, so wird das Ergebnis dreidimensional."

Die Methode eigne sich hervorragend dafür, die molekulare Maschinerie innerhalb der Zelle, die genauen Funktionsweisen und Mechanismen analysieren zu können. Als Modell dient zum Beispiel das Bakterium Salmonella.

Probe wird gekippt

Das "Polara" ermögliche aber auch eine alternative Abbildungsmethode, erzählt Resch. Sie heißt Elektronentomografie, die beiden Wissenschafter vergleichen sie mit der Computertomografie in der Medizin. Ein Patient wird von allen Seiten durchleuchtet, um eventuelle krankhafte Veränderungen in seinem Organismus zu erkennen. In der Molekularbiologie wird der "Patient", also die Probe, gekippt - und auf diese Art aus verschiedenen Perspektiven durchleuchtet. Marlovits wählt diese Technik, "um alles aus dem Zellverband zu sehen".

Resch und Marlovits erzählen von einem weiteren Vorteil des Mikroskops: Das "Polara" hat einen eingebauten Energiefilter. Nachdem die Elektronen die Probe passiert haben, tragen einige von ihnen elementspezifische "Signaturen". Durch Auftrennung der Elektronen nach diesen Signaturen kann einerseits das Signal relativ zum Rauschen verstärkt werden, das Bild also kontrastreicher gestellt werden, andererseits können chemische Elemente mit Nanometergenauigkeit lokalisiert werden.

Dieses Wissen über die Verteilung von Elementen in Zellen kann weiter zum Verstehen elementarer Vorgänge in diesen beitragen.

Die Aufnahmetechnik allein ermöglicht aber noch nicht den erwünschten Erkenntnisgewinn an den Instituten. "Da ist sehr viel Technologie und Technologieverständnis notwendig", sagt Marlovits. Die Programmierung von "Polara" zum Beispiel, damit das Mikroskop auch nachts arbeitet. Und die Speicherung der Bilddaten. "Es gibt so viele Details, auf die man achten muss, da ist es schon sehr zeitsparend, manche Tätigkeiten zu automatisieren." Das Gerät diene ausschließlich zur Grundlagenforschung. Natürlich könne die Identifizierung neuer Zielmoleküle auch für die Medizin und die Pharmaindustrie interessant werden. Das werde sich jedoch erst in der Zukunft weisen. Wie auch die Chancen auf Verwirklichung des Wunsches, ein Transmissionselektronenmikroskop der nächsten Generation am Vienna Biocenter in Betrieb nehmen zu können.

Die kürzlich von Bund und Stadt Wien avisierten 52 Millionen Euro, die in den nächsten zehn Jahren für neue Technologien und Infrastruktur am Center ausgegeben werden sollen, stärkt diese Hoffnung. Das Gerät würde dann allen Einrichtungen am Campus, also auch Firmen und Universitätsinstituten, zur Verfügung stehen. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2008/01.01.2009)