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"It Don't Matter
If You're Black Or White ..."
(Zitat Michael Jackson)

Foto: Reuters/Ruymen

Die Biotechfirma DNAPrint Genomics in Sarasota, Florida, nahm den Freitag begangenen 50. Jahrestag der Entdeckung der DNA-Struktur zum Anlass, den Preis für eines ihrer begehrtesten Produkte hinaufzusetzen: Ihr Erbgut-Analyseservice Ancestry kostet statt bisher 160 nun 319 Dollar (295 Euro). Der Beipacktext informiert, dass sich Urahnen des Menschen vor 200.000 Jahren über die Erde ausbreiteten und "Rassen begründeten". Daher erfahre man "nur mit einem Blick in den eigenen genetischen Code", welche Rasse man eigentlich verkörpere. Das Angebot: "Europäer, Ostasiaten, Südasiaten, Afrikaner, Ureinwohner Amerikas."

Wer will nicht wissen, welcher Rasse er angehört? Allerdings, wenn's denn ginge, bitte nur ja nicht der afrikanischen. Denn Schwarze, das wollen Wissenschafter bewiesen haben, seien ob ihrer Gene krankheitsanfälliger, dabei auch noch behandlungswiderspenstiger als Weiße. Im darwinistischen Sinne jedenfalls nicht die "Fittesten".

Auffällig an diesem vor allem in den USA mittlerweile fast schon zur Normalität gewordenen genetischen Rassismus ist der kulturelle Wandel in der Argumentation und der Akzeptanz seiner Thesen.

Versuche, ethnische Gruppen wissenschaftlich zu sortieren, kamen - in jüngster Vergangenheit - zunächst von der Geisteswissenschaft. Ohne Erfolg, wie der bisher letzte entsprechende Skandal gezeigt hat: In dem Buch The Bell Curve polemisieren der Psychologe Richard Herrnstein und der Soziologe Charles Murray, auf der Intelligenzskala der Menschheit stünden Asiaten und Juden ganz oben, Schwarze hingegen ganz unten. Auch wenn die Genetik als Ursache vermutet wird, steht doch eine sozioökologische Begründung im Vordergrund. Der Protest war enorm.

Nun jedoch forciert die Naturwissenschaft den Rassenwahn. Genetiker argumentieren mit Ergebnissen des Human Genome Project zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes und des Human Genome Diversity Project, welches das menschliche Rassengemisch genetisch sortiert. Plötzlich scheint die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung da zu sein. Warum?

Heilsversprechen . . .

Da die Molekularbiologie Legionen von Krebskranken, Erbleidenden und anderen Siechen nahezu alltäglich neue Heilsversprechen macht, dürfen allem Anschein nach Erkenntnisse von Genetikern einfach nicht falsch sein. Zu viel Hoffnung steht auf dem Spiel. Und die wenigen Spielverderber hält man manipulativ mit dem Kreuz in Schach.

Die Gen-Gurus Craig Venter und Francis Collins sprachen schon bei der Präsentation des entschlüsselten menschlichen Genoms in Anlehnung an die von vielen als Determinante ihres Glaubens angesehene Bibel vom dechiffrierten "Buch des Lebens". In der Heiligen Schrift der Biologie stehe Gen für Gen das Geheimnis menschlicher Existenz. Also müssen offenbar auch die darin ablesbaren Rassenmerkmale Teil dieser jüngsten genetischen Offenbarung sein.

Anders als nach The Bell Curve bleibt der öffentliche Aufschrei ob des neuen rassengenetischen Kreuzzuges heute weitgehend aus. Zwar betonen Kritiker wie der Genetiker David Goldstein vom University College London, dass es für eine rassische Abgrenzung keinen wissenschaftlichen Beweis gebe. Dennoch machen immer mehr Mediziner mit der politisch korrekten Gleichbehandlung von Weißen und Schwarzen Schluss. Rasse wird Diagnosekriterium, die Therapien hautfarbenabhängig verordnet.

Der Grund liegt nicht zuletzt in einschlägigen Forschungsergebnissen, die von Fachjournalen publiziert wurden: Hämochromatose, eine erbliche Eisenspeicherkrankheit, sei bei Chinesen und Indern unbekannt, tauche aber bei Schweden auf. Die tödliche Tay-Sachs-Krankheit sei vor allem bei in Europa und Nordamerika lebenden Juden verbreitet. Schwarze seien anfälliger für Sichelzellenanämie - diese Erbkrankheit habe sich im südlichen Afrika ausgebreitet, weil das dafür verantwortliche defekte Gen Schutz vor der Malaria biete.

. . . und Bärendienste

"Lassen wir solche Unterschiede bewusst unter den Tisch fallen", argumentiert Genetiker Neil Risch von der Stanford University, "erweisen wir Minoritäten letztlich einen Bärendienst." Kritiker befürchten, einen solchen habe die Wissenschaft bereits erwiesen - vor allem einer Ethnie: Laut weiteren US-Studien litten Schwarze sechsmal häufiger als Weiße an der blind machenden Augenkrankheit Glaukom, reagierten auf Antidepressiva langsamer und zeigten um 40 Prozent mehr Nebenwirkungen - weshalb sie auch geringere Dosen bekommen sollten -, wiesen eine um 350 Prozent höhere Todesrate bei Bluthochdruck auf, bekämen häufiger Prostatakrebs und schwarze Frauen würden während oder kurz nach einer Geburt viermal häufiger sterben als weiße.

Solch rassenspezifische Forschungen dienten laut Kritikern mittlerweile auch als Erklärung, warum die Lebenserwartung von Schwarzen 70,2 Jahre beträgt, die von Weißen 76,8. Dass aber US-Bürger nicht weißer Hautfarbe eine schlechtere medizinische Versorgung als Weiße bekommen, auch wenn sie genauso viel verdienen und genau so gut versichert sind, scheint soziokulturelles Gelaber von gestern zu sein, heute ist man der Biotechnologie hörig.

Dabei sind die Unterschiede zwischen Ethnien verschwindend: 99,9 Prozent der Gene sind bei allen Menschen gleich. Rassengenetiker argumentieren jedoch, dass exakt das restliche Zehntelprozent größte Bedeutung habe, schließlich unterscheide sich der Mensch vom Schimpansen ja auch nur in 1,3 Prozent seines Erbgutes und dennoch seien Mensch und Affe völlig unterschiedliche Gattungen.

Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Rassismus in der Wissenschaft hat Tradition. Hippokrates etwa hielt Asiaten für schwachsinnig. Und derzeit basteln Genetiker an verbesserten DNA-Analysen für die US-Justizbehörden. Damit diese anhand genetischer Tatortspuren noch schneller herausfinden, welcher Rasse der Täter angehört. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass 45 Prozent aller Insassen von US-Todeszellen Schwarze sind, obwohl diese nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. 3. 2003)