Durch die von Gazprom eingeleitete Absenkung der Gasversorgung über das ukrainische Leitungsnetz um 65.3 Millionen m3 hat sich die Gaskrise erheblich verschärft. Die Kompensation über erhöhte Gasliefermengen durch die zwei alternativen Exportleitungen Russlands – die Jamal-Pipeline (über Belarus und Polen nach Deutschland) und die Blue-Stream-Leitung (auf dem Boden des Schwarzen Meeres) in die Türkei – ist nicht möglich; dazu reicht deren Transportkapazität nicht aus.

Die Transportkapazität der Yamal-Pipeline liegt bei 33 Mrd.m3 jährlich, der Blue Stream 16 Mrd. m3 jährlich. Der derzeitige Gasexport Russlands in die EU liegt bei 121 Mrd. m3. Nimmt man die Türkei hinzu, die aus Russland fast ausschließlich über Blue Stream versorgt wird, liegt das Exportvolumen Russlands bei 143.5 m3.

Bislang hatte Russland lediglich die Gasversorgung der Ukraine eingestellt; eine Entscheidung, die völlig rechtskonform ist; ohne bestehenden Liefervertrag, in dem Volumen und Preis festgelegt sind, ist das Aussetzen des Gasverkaufs an die ukrainische staatlich kontrollierte Naftogaz Ukrainy zulässig.

Für den Transit russländischen Erdgases zu Abnehmern in der EU und im westlichen Balkan gibt es eine Rechtsgrundlage – der am 3. Jänner 2006 zwischen Russland und der Ukraine abgeschlossene Transitvertrag, der die von Gazprom zu entrichtende Gebühr für die Durchleitung des Gas über das ukrainische Leitungsnetz auf 1.6 USD pro 1000 m3 pro 100 km festlegt. Ein Gericht in Kiiv hat diesen Vertrag gestern für ungültig erklärt; nach den Regeln des Transitvertrages ist die ukrainische Gerichtsbarkeit dazu aber nicht berechtigt.

Nun rächt sich, dass die EU in den letzten Jahren nahezu ausschließlich die Diversifizierung der Gaslieferländer und die Diversifizierung von Gasversorgungsrouten aus dem nicht-russländischen Raum vorangetrieben hat. Dies war zweifellos richtig, verkannte aber ein anderes Sicherheitsrisiko. Das Sicherheitsrisiko, dass 78 Prozent der russländischen Gasexporte in die EU und den westlichen Balkan ausschließlich über ein Transitland erfolgen – nämlich die Ukraine – wurde, wohl aus politischen Gründen, ignoriert. Der Bau alternativer russländischer Gasexportleitungen – allen voran der Nord Strim-Leitung vom russländischen Vyborg über die Ostsee in das deutsche Greifswald - wird nun schon seit Jahren blockiert.

Völlig versagt haben in der letzten Woche die Europäische Kommission, v.a. aber die Mitgliedsstaaten der EU. Die Haltung, den Konflikt zwischen Gazprom und Naftogaz Ukrainy als 'Handelsstreit' abzutun, der keiner Vermittlung durch die EU bedürfe, ist inhaltlich nicht nachvollziehbar. Die Begründung, dies sie auch deshalb nicht möglich, weil die Lage 'undurchsichtig' sei, ist geradezu lächerlich. Die EU hat auch den russländischen Vorschlag, den Gasdruck bei der Einspeisung russländischen Gases in das ukrainische Leitungsnetz zu überwachen, nicht aufgegriffen. Nutznießer der Passivität der EU ist stärker die Ukraine, als Russland. Die Entscheidung von Gazprom, das Gasversorgungsvolumen drastisch abzusenken, ist zwar der Versuch, die EU zu einer Vermittlerrolle zu drängen, wird aber in der EU, aber auch auf der medialen Ebene, erneut als Zeichen der mangelnden Lieferverlässlichkeit Russlands interpretiert werden. Andererseits hat(te) Russland auch kein anderes Instrument, um die Ukraine unter Druck zu setzen. Trotzdem ist die Entscheidung der russländischen Regierung, das Liefervolumen derart drastisch abzusenken, nicht akzeptabel.

Tschechien ist mit der Aufgabe der EU-Ratspräsidentschaft völlig überfordert. Während bei der Suche nach einer Waffenstillstandsformel für die militärischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen eine Heerschar miteinander rivalisierender EU-Delegationen mobilisiert wurde, war die EU im Gasstreit nahezu untätig; bisher wurden in die Krisengespräche nur nachgeordnete Beamte und Botschafter der Mitgliedsstaaten bei der EU einbezogen. Das ist ein erbärmliches Zeugnis für die Fähigkeit der EU, Bedrohungen der elementaren Sicherheit der Mitgliedsstaaten in der Energieversorgung zu bewältigen. Aber vielleicht gelingt es der EU, im Gazastreifen auf erhebliche Gasvorkommen zu stoßen.
 (Gerhard Mangott/derStandard.at/6.1.2009)