Die Fassade der alten Kathedrale ziert ein riesiges Parteiplakat der FSLN.

Foto: Katja Fleischmann

"Managua ist eine anarchische Stadt", sagt Alejandro während wir vom Flughafen Richtung Stadt fahren. "Eine Stadt im Chaos, die ohne Konzept und System wächst." Und tatsächlich wirkt die Hauptstadt Nicaraguas auf den ersten Blick wenig einladend. Ein Zentrum gibt es nicht bzw. nicht mehr. Managua war einmal eine "koloniale Stadt" mit prächtigen Bauten, doch zwei schwere Erdbeben, das letzte im Jahr 1972, machten das Managua von früher dem Erdboden gleich. Ein Wiederaufbau fand nicht statt und so verwuchs das ehemalige Zentrum langsam mit willkürlich konstruierten Häusern. Viele der Ruinen, die das Beben zurückließ, werden heute von Menschen besetzt und bewohnt, die kein Geld für ein "Eigenheim" haben. Und ein viel gereister Holländer sagte einmal zu Germán, Managua sei "die hässlichste aller Hauptstädte Lateinamerikas."

Wahlmanipulation durch die FSLN

Der "Humorist" Luis Enrique Calderón parodiert Praesident Ortega in seiner beliebten Show.
Foto: Katja Fleischmann

Vielleicht mag er recht haben, doch die Tatsache, dass eine Stadt nicht schön ist, macht sie noch lange nicht uninteressant! Und Vergleiche zu ziehen ist manchmal wenig aussagekräftig. Also mache ich mich daran die Stadt kennen zu lernen, begleitet von meinen beiden Freunden aus Nicaragua, die mir von der Geschichte und vor allem von der aktuellen Lage ihrer Heimat berichten. Die politische Situation ist derzeit sehr angespannt. Die vor zwei Monaten stattgefundenen Landtagswahlen gelten als manipuliert und undemokratisch und der regierende Präsident Daniel Ortega gerät zunehmend unter Druck. Seiner Partei, der FSLN (Sandinistische Front zur nationalen Befreiung) wird vorgeworfen das Wahlergebnis zu ihren Gunsten manipuliert zu haben und dabei auch mit einem Teil der sich gespaltenen Opposition "gepackelt" zu haben.

Sanktionen der EU

Die Gerüchte rund um den Wahlbetrug verstummen nicht – so ist beispielsweise sogar die Rede davon, dass Stimmen als ungültig gewertet wurden, da die Farbe der Tinte nicht die richtige war. Ob der tristen Situation setzt bei vielen Menschen hier so etwas wie Galgenhumor ein und besonders über den Präsidenten und die "Primera Dama" (First Lady) werden viele Witze gerissen. Viele sind der Meinung, dass nicht Daniel Ortega sondern seine Frau Rosario Morillo das Land regiert. Die Europäische Union hat auf die Unstimmigkeiten in Nicaragua mit Sanktionen reagiert und somit bleiben angedachte 13 Millionen Euro für das Land "eingefroren".

Angebote, Neuwahlen bzw. die Neuauszählung der Stimmen zu finanzieren, wurden abgelehnt und unabhängige Wahlbeobachter im Vorfeld nicht zugelassen. Germán, der bis jetzt Anhänger der FSLN war, kritisiert Ortega scharf und heißt dessen Annäherung an den, wie er sagt, "linken Radikalismus" von Hugo Chavez und Evo Morales nicht gut. "Die Beziehungen zur EU und den USA verschlechtern sich zunehmend und als neuer Partner gelten die Russen. Doch aus Russland kommen lediglich leere Versprechungen, das Geld bleibt letztendlich aus."

"Die Liebe ist stärker als der Hass"

So kurz in diesem Land ist es schwer, mir einen objektiven Überblick zu schaffen, doch gewisse Dinge bleiben auch für mich nicht unerkannt und eine Besichtigungstour durch die Stadt zeigt, dass die FSLN den öffentlichen Raum einnimmt. So zieren beispielsweise Parteiplakate die Fassade der alten Kathedrale und an den Kreisverkehren der Stadt campen vermeintliche "Anhänger" der FSLN mit dem Slogan "Die Liebe ist stärker als der Hass" um der Regierung für ihre Wohltaten zu danken und die Opposition anzuprangern. Laut Alejandro und Germán handelt es sich hierbei um eine Inszenierung und die Menschen, arme Leute von der Straße, bekommen von der Regierung Geld und Essen für ihre "Dienste". Die Kreisverkehre galten zuvor als Treffpunkt der Opposition.

"Rezadores de la rotonda" – betenden Menschen versammeln sich an den Kreisverkehren der Stadt.
Foto: Katja Fleischmann

Anfängliche Verbesserungen ...

Die politische Geschichte Nicaraguas lässt sich in wenigen Worten kaum zusammenfassen. "Schlagzeilen" machte das Land vor allem während der Revolution, als die FSLN die mächtige Diktatorenfamilie Somoza Ende der 70iger zu Sturz brachte und wenig später gegen die – von den USA gestärkten und forcierten – "Kontras" kämpfen musste. Damals stand die Bevölkerung nahezu geschlossen hinter den Sandinisten und während ihrer ersten Regierungsperiode, die bis 1990 anhielt, erreichte die FSLN signifikante Verbesserungen für die Bevölkerung – etwa Reduzierung des Analfabetismus, Investitionen in Gesundheit und Bildung, eine Agrarreform und die Stärkung der Demokratie.

... nachfolgende Verschlechterungen

Seit 2006 sind die Sandinisten wieder an der Macht und ihre Politik richtet sich nach wie vor an die armen Leute. Es wird wieder vermehrt gegen den Analfabetismus gekämpft, die von der Opposition eingeführten hohen Preise für öffentliche Verkehrmittel wurden deutlich gekürzt, ebenso die Kosten für Bildung und medizinische Versorgung. Dennoch hat die FSLN für viele ehemalige Unterstützter ihre Prinzipien verloren. Meinungsfreiheit und andere demokratische Ideale werden zugunsten des Machterhalts verworfen. Nicaragua hat im vergangenen Jahr ein deutlich geringeres Wirtschaftswachstum erreicht als seine Nachbarländer, weiters wurden nun Millionen an Fördergeldern gestoppt. Die Sandinisten haben auch das seit über 100 Jahren geltende Recht auf den Schwangerschaftabbruch aus medizinischen Gründen – etwa bei Lebensgefahr der Mutter – wieder rückgängig gemacht.

Herrenloser Präsidentenpalast

Managua ist keine Stadt, die sich an Touristen richtet und "typische Sehenswürdigkeiten" sucht man vergeblich. Die Reste der alten Kathedrale kann man nicht mehr betreten, weil einsturzgefährdet, der Präsidentenpalast ist herrenlos, da der amtierend Präsident "von zu Hause aus" regiert und die Kollektion des Nationalmuseums ist nicht vergleichbar mit der eines Louvre. Die neuerrichtete Hafenpromenade am Managua-See ist ein ehrgeiziges Projekt, doch schon kurz nach der Eröffnung versank ein Teil des Stegs wieder im Wasser. Und eine Bootstour über das Wasser ist nur dann erfrischend, wenn der verschmutzte See nicht stinkt.

Es gibt genug Gründe, nicht nach Managua zu kommen und wer wenig Zeit hat sollte diese tatsächlich nicht in einer derart uncharmanten Stadt "verschwenden". Für mich hat jeder Ort seinen Zauber, manchmal dauert es nur etwas länger ihn zu finden. Ein Besuch in Managua ist ein Besuch am Schauplatz der Zeit, nicht immer schön, aber authentisch.

Die finanzielle Krise ist spürbar

Als wir an der Ampel stehen und zwei kleine Mädchen angelaufen kommen, meint Germán nachdenklich: "Vor zwei Jahren als ich nach Nicaragua zurückgekommen bin, gab es kaum bettelnde Kinder auf der Straße und wenig ambulante Verkäufer. Das hat sich wieder geändert. Die finanzielle Krise trifft alle Länder, aber besonders die armen".

Blick von oben – Managua verschwindet im Grün der Bäume.
Foto: Katja Fleischmann

Wem die Realität oder das Chaos in der Stadt zu viel wird, sollte einen der Hügel hinauffahren und die Aussicht von oben genießen. Die Stadt versinkt regelrecht im Grünen und ist zwischen den Baumwipfeln kaum erkennbar.

Mein Besuch in Managua ist ein Besuch bei Freunden und als Freundin gehört man hier zur Familie. Grund genug ein bisschen länger zu bleiben. (Katja Fleischmann)